Die deutsche Regierung betonte am Wochenende zwar, dass die Versorgungssicherheit zumindest vorerst gewährleistet sei, nachdem die russische Gazprom in letzter Minute entschieden hatte die Pipeline nach einer Wartungspause nicht wieder in Betrieb zu nehmen. Die Speicher füllten sich, neue Gasquellen würden erschlossen.

Aber die Bundesnetzagentur hatte warnt bereits früher gewarnt, dass selbst fast komplett gefüllte Gasspeicher nur für zweieinhalb Monate reichen würden, wenn kein Gas aus Russland mehr fliesst. Aktuell stehen die Speicher bei etwa 85 Prozent.

“Die EU befindet sich jetzt im roten Bereich. Die Nachfrage muss weiter gesenkt werden”, sagt Thierry Bros, Professor an der Sciences Po in Paris. Bros zufolge muss die Nachfrage um weitere 3 Prozent gesenkt werden.

15-Prozent-Senkung

Die Europäische Union hat bereits ein freiwilliges Ziel zur Senkung der Gasnachfrage um 15 Prozent festgelegt, das bei Bedarf auch verpflichtend werden kann. Auf einem Sondertreffen der Energieminister am Freitag werden laut EU-Diplomaten nun wohl Schritte in Betracht gezogen, die zuvor undenkbar schienen.

Der deutsche Gasnotfallplan steht bereits auf der zweiten von drei Alarmstufen. Auf dem höchsten Level sind auch Rationierungen möglich.

Die Gaspreise waren letzte Woche gesunken, nachdem sich am Markt die Sicht durchsetzte, dass Gazprom die Pipeline wieder hochfahren würde. Diese Hoffnung wurde am Freitagabend enttäuscht - wenige Stunden, nachdem die G7 sich auf einen Preisdeckel für russisches Öl geeinigt hatte. Gazprom machte für die vorerst unbefristete Stillegung der Verbindung offiziell ein bei der Wartung entdecktes “Öl-Leck” verantwortlich.

Die Preise, die bereits viermal so hoch sind wie vor einem Jahr, dürften heute weiter steigen und damit den Druck auf Industrie und Haushalte erhöhen - und auf die Politik, zu handeln. Nach dem vollständigen Stopp der Ostseepipeline verbleiben nur noch zwei Hauptrouten für russisches Gas in die EU: die über die Ukraine in die Slowakei und nach Österreich - über die ebenfalls weniger fliesst -, und die über TurkStream durch das Schwarze Meer.

Viel hängt vom Wetter ab

Der Gas-Stopp erhöht auch den Druck auf Berlin, die deutschen Kernkraftwerke länger in Betrieb zu halten. Offiziell wartet die Bundesregierung noch auf Ergebnisse von Stresstests, aber eine Verlängerung wird nun immer wahrscheinlicher. Die Verlängerung der Laufzeit von zwei der verbliebenen drei Kernkraftwerke würde 2,3 Prozent des Gasverbrauchs ausgleichen, hat BloombergNEF berechnet.

“Die Verlängerung der Kernenergie ist für Deutschland ein absolutes Muss, und sie wird definitiv einen Unterschied machen”, sagt Kesavarthiniy Savarimuthu, ein Analyst bei BNEF. “Jeder Kubikmeter Gas ist entscheidend für die Versorgungssicherheit.”

Viel hängt jetzt auch vom Wetter ab. Laut Maxar Technologies LLC wird der Oktober, der Beginn der Heizsaison im Winter, mit überdurchschnittlich hohen Temperaturen im Norden und Westen Europas mild ausfallen. Wie schnell Europa seine Vorräte aufbraucht, hängt davon ab, wie schnell es kalt wird.

Als Ersatz für das russische Pipelinegas konkurriert Europa nun mit Asien um Flüssiggas. Wenn der Winter in beiden Regionen besonders kalt wird, könnten die europäischen Speicher sich gegen Ende des Winters leeren.

(Bloomberg)