2017 setzte sich der Liberale Macron quasi mühelos gegen seine rechte Rivalin Marine Le Pen durch. Nun sagen Umfragen ein sehr enges Rennen zwischen beiden voraus. Vorbei scheinen die Tage, als sich die Reihen des linken und bürgerlichen Lagers in einem Abwehrreflex gegen Rechts schlossen und eine Art republikanische Front bildeten. Dazu trägt auch bei, dass Le Pen ihr vormals radikales Image abzustreifen versucht.

Schon nach der ersten Wahlrunde präsentierte sie sich in der von Polarisierung geprägten Parteienlandschaft als Politikerin, die zusammenführt und die Brüche in der Gesellschaft zu heilen trachtet. Zugleich stellte sie den früheren Investmentbanker Macron als Inkarnation der "Macht des Geldes" dar, der sich für die Reichen einsetze.

Der liberale Macron ist nun gezwungen, bei der Stichwahl auch eher links-orientierte Wähler auf seine Seite zu ziehen, will er weitere fünf Jahre im Elysee-Palast residieren. Geplant sind Auftritte in Arbeiter-Hochburgen im industriell geprägten Norden Frankreichs, wo Le Pen am besten abschnitt.

Wahlempfehlungen der Ausgeschiedenen - was sind sie wert? 

Zwar haben bereits viele in der ersten Runde ausgeschiedene Kandidaten zur Wahl Macrons in der zweiten Runde aufgerufen, darunter auch die Sozialistin Anne Hidalgo. Diese landete allerdings in der ersten Runde nur auf den hintersten Rängen in der Wählergunst. Zugleich fragen sich Experten, was solche Wahlempfehlungen wert sind: "Unter den Politikern kommt die republikanische Front zwar in Gang. Es bleibt aber abzuwarten, ob die Wähler folgen", sagte Demoskop Mathieu Gallard vom Institut Ipsos.

Eine Umfrage des Instituts Ifob sagte auf Basis von Nachwahlbefragungen vom Sonntag ein äusserst spannendes Rennen zwischen Le Pen und Macron am 24. April voraus: Demnach dürfte sich der Amtsinhaber und Gründer der Bewegung "La Republique En Marche" mit 51 Prozent der Stimmen nur denkbar knapp gegen die Chefin des "Rassemblement National" durchsetzen.

Zum Vergleich: 2017 votierten rund zwei Drittel der Wähler im zweiten Wahlgang für Macron. Damals hatte Le Pen noch mit Plänen für einen Austritt Frankreichs aus dem Euro geworben und damit wohl auch viele bürgerliche Wähler abgeschreckt. Mittlerweile hat die deutlich weniger radikal auftretende Politikerin ihren Ruf als Bürgerschreck wohl abgelegt: Statt verbale Attacken gegen Migranten und die EU zu reiten, setzt sich die 53-Jährige nun als gemässigte Politikerin in Szene, die die Kaufkraft der Franzosen in Zeiten hoher Inflation stärken will. Laut einer Ifop-Umfrage vom März verfängt dieser Imagewechsel: Le Pen flösst demnach nicht einmal mehr der Hälfte der Franzosen Furcht ein.

Der in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl unterlegene Linkskandidat Jean-Luc Melenchon forderte seine Wähler zwar auf, ihr keine einzige Stimme zu geben. Doch der letzte Hoffnungsträger der Linken, der mit 22 Prozent Zustimmung einen Überraschungscoup landen konnte, sprach zugleich auch keine Wahlempfehlung für Macron aus. Umfragen zufolge könnten viele seiner Anhänger den Urnen bei der Stichwahl fernbleiben.

Ärmel hochkrempeln

Zahlreiche linksgerichtete Franzosen kreiden Macron an, dass er Wohngeld gekürzt und zugleich Steuererleichterungen für Reiche durchgesetzt habe. Unvergessen sind auch die Polizeieinsätze gegen die Gelbwesten-Proteste im Land. Die Kundgebungen der Macron-Gegner hatten sich zunächst gegen geplante Benzinpreiserhöhungen gerichtet, später ging es auch ganz allgemein um die Politik des Staatschefs.

Die 27-jährige Melenchon-Anhängerin Lea Druet wirft dem Präsidenten vor, mit seiner Politik das rechte Lager gestärkt zu haben. Noch 2017 hatte sie für Macron gestimmt. Nun will sie sich bei der Stichwahl enthalten. Andere Melenchon-Unterstützer sind noch unentschlossen - so auch der 36-jährige Guillaume Raffi aus Montpellier. Falls es in den Umfragen auf ein sehr enges Rennen hinauslaufe, werde er seine Stimme doch Macron geben: "Ich schaue mir an, wie es in den kommenden beiden Wochen läuft."

Macron hatte jüngst eingeräumt, dass er spät in den Wahlkampf gestartet war - auch, weil er durch die Ukraine-Krise stark eingebunden war. Der 44-jährige Amtsinhaber muss sich nun laut dem früheren französischen Botschafter in Washington, Gerard Araud, ins Zeug legen: "Emmanuel Macron muss die Ärmel mehr hochkrempeln, als er es in der ersten Runde getan hat."

(Reuters)