Nun ist es quasi offiziell: Das Europäische Parlament stuft Russland wegen des Einmarsches in die Ukraine als "Schurkenstaat" ein. Dieses Schlagwort, oft benutzt von diversen US-Präsidenten wie George W. Bush, geht vor allem auf ein Buch von William Blum aus dem Jahr 2000 zurück ("Rogue State: A Guide to the World's Only Superpower"), in welchem ironischerweise die USA als Schurkenstaat bezeichnet wird. Besser wäre ohnehin die Bezeichnung "Schurkenregierung".
Alle wollen nun plötzlich nichts mehr mit Russland zu tun haben, vor allem im Finanzsektor - dies völlig zurecht. Doch inmitten dieser westlichen Geschlossenheit muss man festhalten: Investitionen in Russland und in russische Wertpapiere hätten schon viel früher in Frage gestellt werden müssen. Repression, Zensur, aggressive Aussenpolitik: Vladimir Putins Russland nahm in den letzten Jahren immer deutlichere Züge eines streng autoritär geführten Staates an.
Putin schreckte auch nicht vor Staatsterrorismus zurück. Systemkritiker wurden unter nicht geklärten Umständen auch im Ausland auf offener Strasse erschossen - oder perfid vergiftet wie der Oppositionelle Alexej Nawalny. Moskau stritt immer alles ab - und verhöhnte die Opfer gleichzeitig. Die Untaten der Schurkenregierung Putin waren schon lange manifest. Ethische Bedenken wegen Investitionen in Russland? Äusserten fast nur Menschenrechtsorganisationen.
Doch früher oder später zeigt jedes autoritäre Regime seine hässliche Fratze. Auslöser für Handlungen wie der Ukraine-Invasion sind meist innenpolitische Entwicklungen: Allen voran die Angst vor Demokratiebewegungen und Liberalismus, das Ausbleiben wirtschaftlicher Prosperität sowie tiefsitzende Gefühle von Minderwertigkeit und historischer Falschbehandlung.
Seine hässliche Fratze zeigte und zeigt ja nicht nur das von Putin regierte Russland. Ist der Name Mohammed bin Salman bereits vergessen? 2018 tötete ein Sonderkommando aus der saudischen Hauptstadt Riad den regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi im Konsulat in Istanbul auf mutmasslich bestialische Weise. Salman, der als Prinz de facto über Saudi-Arabien herrscht, soll die Ermordung angeordnet haben. Oft vergessen geht, dass das Land auch einen grausamen Krieg in Jemen führt.
Und heute? Westliche Nationen und Unternehmen stehen wieder Schlange bei Salman. Es winken lukrative Aufträge. Doch ist es ethisch vertretbar, mit der autoritären Regirung in Saudi-Arabien Geschäfte zu machen? Sind saudische Unternehmen wie die weltgrösste Erdölfördergesellschaft Aramco investierbar?
Die gleichen Fragen drängen sich zunehmend bei chinesischen Unternehmen oder Investitionen in China auf. Die kommunistische Regierung fährt in der Innen- und Aussenpolitik in den letzten Jahren einen repressiven und aggressiven Kurs: Stummschalten und Wegsperren von Systemkritikern, zunehmende Zensur in den Medien und im Internet, Unterdrückung von Minderheiten, Niederschlagung der Demokratie in Hongkong, militärische Machtgebaren gegen Taiwan. Die Entwicklung ist ähnlich wie in Russland, wenn auch teils aus anderen Motiven.
Ja, es ist eine Zeitenwende, vor der wir stehen. Der Ukraine-Krieg ist eine Zeitenwende in der Weltpolitik, aber auch eine bei Investitionen. Es soll niemand behaupten, man hätte es nicht früher erkennen können.