Erstens: Die Schweizerische Nationalbank sagte bei der Einführung des Negativzinses im Januar 2015, der Franken werde sich dank der Massnahme "mit der Zeit" abwerten. Die SNB lag mit dieser Annahme, wie wir heute wissen, fünf Jahre lang neben den Schuhen. Und zweitens: Der Leitzins der Schweizerischen Nationalbank werde "in zwei Jahren" wieder positiv werden. Das sagte ein erfahrener Anlagechef einer Schweizer Bank - im Jahr 2016. Er lag ebenso falsch wie die SNB mit ihrer Prognose.

Die zwei Beispiele (man könnte zahllose weitere aufführen) zeigen, wie sehr das Thema Negativzins mit Ungewissheit, Unwissenheit und Irrtümern auch fünf Jahre nach dem "Frankenschock" verbunden ist. Fakt ist: Der Negativzins hat nun schon viel länger Bestand als angenommen, auch von der Nationalbank selber. Der welttiefste Negativzins wird uns noch längere Zeit als lästiger Begleiter zur Seite stehen. Fakt ist auch: Die Kritik an der umstrittenen Massnahme der SNB nimmt in der Schweiz zu. Zurecht. 

Die Doktrin der SNB, die einen schwächeren Franken und den Schutz der Exportindustrie über alles andere stellt, wird von denen zunehmend angezweifelt, welche unter den Negativzinsen leiden: Das Pensions- und Vorsorgesystem, die Finanzindustrie - oder eine Mehrheit der Bevölkerung, die sich wegen des Immobilienpreisbooms kein Wohneigentum mehr leisten kann. Der Tenor der Kritiker: Der SNB wird zwar zugute gehalten, dass sie die Rahmenbedingungen für die Schweizer Wirtschaft stabil gehalten hat. Doch die Kosten überwiegen nach fünf Jahren mittlerweile die Nutzen.

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Dabei wissen wir: Die Schweiz und ihr Negativzins sind bloss die Spitze eines geldpolitischen Eisbergs. Die Strafzinsen sind ein Teil eines Phänomens mit gigantischem Ausmass. Denn auch fast 13 Jahre nach Ausbruch der Banken- und Finanzkrise rücken die Notenbanken nicht von ihrer ultra-lockeren Geldpolitik ab, die eigentlich als Ausnahmefall gedacht war.

Mehr noch: Die Finanzmärkte scheinen immer abhängiger von den Feuerwehraktionen der Notenbanken zu werden. Jüngstes Beispiel: Die US-Notenbank musste, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, im September 2019 am US-Repomarkt mit einer Not-Geldpritze intervenieren. Es stand nicht weniger als die Liquidität des Finanzsystems auf dem Spiel, weil sich am Repomarkt die US-Banken mit frischem Geld versorgen. Ausgestanden ist das Problem offenbar nicht. Die ausserordentliche Aktion der Fed droht auch hier, einen Dauerzustand herbeizuführen.

Verzichten will die Finanzwelt aber nicht auf die Drogen der Notenbanken. Aktien, Obligationen, Immobilien, Edelmetalle, Private Equity: Die Geldschwemme lässt die Vermögensanlagen seit Jahren in die Höhe schnellen. Dass die weltweite Verschuldung nebeher fast noch rapider in die Höhe geht, wird von der Finanzwelt sehr gerne verdrängt. Dabei war ein Grund für die Krise am US-Repomarkt, genau:  Die massive Ausweitung der US-Staatsverschuldung. Und hohe Verschuldung wiederum ist die Hauptursache für neue Finanzkrisen. 

Verständlich, dass viele Beobachter die Entwicklung an den Finanzmärkten gelinde ausgedrückt bedenklich finden. Bemerkenswert finde ich in diesem Zusammenhang aber das: Die Ex-Notenbankchefs Mario Draghi und Janet Yellen warnten kürzlich an einer Tagung vor Risiken im Niedrigzinsumfeld. Für den Euroraum bestehe "ein gewisses Japanisierungsrisiko", so Draghi. Und Mike Carney, der in einem Monat als Governor der Bank of England zurücktritt, warnte kürzlich davor, dass den Notenbanken zunehmend ihre Interventionsmittel ausgingen und dass der globalen Wirtschaft eine Liquiditätsfalle drohe, wenn die Notenbanken nicht mehr handeln könnten.

Wenn Notenbanker nach oder am Ende ihrer Amtszeit das kritisieren, was sie selber mitverursacht haben – das ist der eigentliche Grund, sich Sorgen um die längerfristige Finanzstabilität zu machen.