cash.ch: Das Schlagwort 'Stagflation' macht an den Märkten die Runde. Ist diese Angst vor einer hochbleibenden Inflation bei gleichzeitiger Konjunktureintrübung gerechtfertigt?

Terence Wheat: Das Stagflations-Szenario könnte tatsächlich eintreffen. Mehrere Marktbeobachter sprachen in den letzten Wochen darüber und prognostizierten eine Wahrscheinlichkeit von 15 Prozent. Wir denken, dass das Stagflations-Risiko höher ist.

Wie kommen Sie zu Ihrer pessimistischen Einschätzung?

Die Inflation ist der entscheidende Faktor. Unternehmen erzählen unseren Analysten schon seit längerem, wie schwierig es ist, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzustellen. Auch die Löhne steigen an. Kann die US-Notenbank Fed die Inflation senken, ohne eine harte Landung der Wirtschaft zu verursachen? Die Chancen stehen gut, dass die Preise länger hoch bleiben und die Wirtschaft einknickt. Und um ehrlich zu sein, bilden die von der Regierung gemeldeten Inflationszahlen die Realität nicht adäquat ab, da Lebensmittel und Energie nicht in den Zahlen der Fed enthalten sind. Die gespürte Inflation der Haushalte ist höher.

Auf welche Indikatoren konzentrieren Sie sich bei Ihrer Einschätzung?

Wir haben Ökonomen, die sich alle Makrodaten ansehen. Und wir wissen durch unsere Gespräche mit einzelnen Unternehmen darüber Bescheid, was sich auf ihre Gewinne auswirkt. Inflation ist momentan die Schlüsselkomponente für den gesamten Markt.

Und glauben Sie, dass die Inflation in den kommenden Monaten einen grossen Einfluss auf die Gewinnentwicklung von Unternehmen haben wird?

In den USA hat das Gewinnwachstum im dritten Quartal des letzten Jahres den Höhepunkt erreicht. Im vierten Quartal des letzten und im ersten Quartal dieses Jahres begannen wir einen kleinen Margendruck zu sehen. Und wir gehen davon aus, dass dieser in vielen verschiedenen Branchen anhalten wird. Detailhändler haben gerade ihre Zahlen veröffentlicht und deren Margen leiden eindeutig. Gleichzeitig sind ihre Lagerbestände sehr hoch. Verlangsamt sich zukünftig auch der Konsum, werden auch die hohen Lagerbestände tendenziell zu niedrigeren Margen führen.

Ist der US-Konsum trotz der hohen Inflation in einer guten Verfassung?

Die Wirtschaft, die Bilanzen der Unternehmen und die Konsumenten sind derzeit in einer guten Verfassung. Aber dies ist ein rückwärtsgerichteter Blick. Denn gleichzeitig drückt der Kursabfall bei Aktien, Anleihen und Kryptowährungen das Nettovermögen der Konsumenten. Die letzte Sache, die nicht geplatzt ist, ist der Immobilienmarkt. Dieser scheint noch immer in guter Form zu sein. Ein Abfall hier könnte sich weiter auf das Nettovermögen der Konsumenten auswirken. Verschlechtert sich dort die Situation, hätte dies einen negativen Einfluss auf die Konsumentenausgaben. Aber auch so dürfte das Konsumentenvertrauen angesichts der hohen Inflation allmählich ein wenig zurückgehen.

Die Renditekurve für US-Staatsanleihen hat sich abgeflacht. Droht eine Inversion?

Ja, diese Möglichkeit besteht. Und dies ist eine grosse Sache für die Märkte. Aber am Ende des Tages zeigt auch eine Zinsdifferenz von 10 oder 15 Basispunkten, dass sich die Wirtschaft verlangsamt.

Inwiefern hat der Krieg in der Ukraine die ökonomische und politische Ausgangslage verändert?

Politisch verursacht der Konflikt Unsicherheit. Und wirtschaftlich treibt der Krieg zwischen Russland und der Ukraine die Inflation und die Inflationserwartungen weiter in die Höhe, weil dieser doch für einen Preisauftrieb bei Öl, Gas und Lebensmitteln gesorgt hat. Wirtschaftlich gesehen hat uns der Ukraine-Krieg also noch weiter in das Inflationsproblem getrieben und den Ausverkauf an den Märkten befördert. Und die Fed hat vermutlich wegen des Ukraine-Kriegs auf das Inflationsproblem nicht so schnell reagiert. Und jetzt versucht sie, dies aufzuholen. 

Wie beurteilen Sie die Leistung der Fed bei der Inflationsbekämpfung?

Die Fed hat sich dem Problem zu spät angenommen. Jetzt versucht sie, vorwärtszumachen. Daher erhöhte sie den Leitzins im April um 50 Basispunkte und in den nächsten Sitzungen geht es vermutlich mit dem gleichen Tempo weiter. Ich denke, dass die Fed die Inflation bekämpfen und uns wahrscheinlich in eine Rezession führen wird. Eine harte Landung der Wirtschaft ist wahrscheinlicher als eine weiche.

Wird die US-Notenbank ihre restriktive Haltung nicht aufgeben, wenn die Aktienmärkte weiter fallen?

An den Märkten hat schon ein ziemlicher Abverkauf stattgefunden. Da die Fed aber die Inflation wirklich bekämpfen will, ist es für sie in Ordnung, wenn die Aktienmärkte noch tiefer fallen. Die Fed hat die Inflation in den letzten 30 Jahren unter Kontrolle gehalten. Das hat zu einer florierenden Wirtschaft geführt. Und ich denke, dass sie die Inflation aggressiv bekämpfen wird, bis zu dem Punkt, an dem sie uns mit Sicherheit in eine Rezession führt. 

Wo sehen sie sonst noch lauernde Risiken für die Märkte?

Zurzeit ist die Inflation das grösste Risiko in den Märkten. Steigende geopolitische Spannungen sind ein weiteres Risiko, das wir laufend beobachten.

Glauben Sie, dass es der Fed gelingt, die Inflation zurückzubinden, oder wird die Teuerung für eine längere Zeit hoch bleiben?

Die Angebotsseite und die geopolitischen Konflikte liegen ausserhalb ihrer Kontrolle. Doch ich denke, dass die Fed am Ende des Tages viele Instrumente zur Hand hat, womit sie die Inflation senken kann. Wie schnell dies gelingt, ist die grosse Frage. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Inflation bis 2023 mit angezogener Bremse bekämpfen wird, um die Wirtschaft zu schützen, ist gering.

Die Zinsen steigen und damit auch die Finanzierungskosten für Unternehmen. Wie reagieren die US-Kreditmärkte auf diese Entwicklung?

Die Märkte für Investment-Grade-Unternehmen machen mir keine Sorgen. Natürlich gibt es mehr Diskussionen über Hochzinsanleihen und gehebelte Kredite. Unternehmen müssen mehr Geld ausgeben, um ihre Zinsen zu zahlen. Die Entwicklung ist daher negativ, aber tragfähig für den US-Kreditmarkt. 

Wo sehen Sie in der aktuellen Marktlage Chancen für Anlegerinnen und Anleger auf dem Anleihemarkt?

Der Risikoaufschlag für Unternehmensanleihen wird wahrscheinlich noch weiter steigen. Und die Aktienmärkte dürften in der Folge noch weiter sinken. Dies schafft aber auch Chancen. Diese sehen wir bei Anleihen von US-Grossbanken. Diese sind deutlich günstiger als jeder andere Sektor, der ein ähnliches Rating hat. Wir finden, dass diese Anleihen wertvoll sein können, weil es sich um sehr starke Unternehmen mit guten Bilanzen handelt. Es gibt auch eine Menge guter Werte bei 30-jährigen Anleihen von Industrieunternehmen mit einem BBB-Rating. Ich denke aber, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt für einen Zukauf noch zu früh ist.

Terence Wheat, CFA, ist Managing Director und Co-Leiter des U.S. Investment Grade Corporate Bond Teams bei PGIM Fixed Income. Er ist für die täglichen Entscheidungen für die US-Investment-Grade-Unternehmensanleihenportfolios und die Entscheidungen über den relativen Wert von US-Unternehmensanleihen verantwortlich. PGIM ist der zehntgrösste Vermögensverwalter weltweit und einer der grössten Obligationenmanager.
 

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