"Der EU-Vertrag ist im polnischen Rechtssystem der Verfassung untergeordnet, (...) und wie jeder Teil des polnischen Rechtssystems muss er der Verfassung entsprechen", begründete Richter Bartlomiej Sochanski die Entscheidung am Donnerstag. Das Gericht unterstrich, dass es nicht nur das Recht habe, die Verfassungsmäßigkeit des EU-Rechts zu überprüfen, sondern auch die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH). Die EU-Kommission entgegnete, EU-Recht sei vorrangig und ebenso seien alle Urteile des EuGH bindend. Das polnische Urteil sei besorgniserregend.

Die national-konservative Regierungspartei PiS sah sich dagegen in ihrer Haltung bestätigt, dass EU-Recht nicht über dem Recht der einzelnen Mitgliedstaaten stehe. "In Polen ist der höchste Rechtsakt die Verfassung und alle europäischen Vorschriften, die in Polen in Kraft sind ... müssen der Verfassung entsprechen", sagte PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski nach der Urteilsverkündung vor Journalisten. "Das gilt auch für die Justiz, und die Europäische Union hat hier nichts zu sagen."

Nach Ansicht von Kritikern rüttelt die PiS mit ihrer Haltung an den Grundpfeilern der EU. Auf dem Spiel steht für sie letztlich nicht nur die Mitgliedschaft Polens in der EU, sondern auch die Stabilität der Staatengemeinschaft an sich. Die europapolitische Sprecherin der Grünen in Deutschland, Franziska Brantner, forderte Konsequenzen nach dem Urteil.

"Die Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts ist eine Gefahr für die Europäische Union. Der Vorrang von EU-Recht ist Grundlage der Europäischen Rechtsordnung", sagte Brantner der Nachrichtenagentur Reuters. "Jetzt ist die EU-Kommission am Zug und muss sofort klare und eindeutige Konsequenzen ziehen, um die Rechtseinheit der EU zu sichern. Dafür braucht sie die volle Unterstützung Deutschlands. Die Zeit zu beschwichtigen ist vorbei."

Zwischen Brüssel und Warschau herrschen eine ganze Reihe von Meinungsverschiedenheiten. Am schwersten wiegt der Streit über die polnische Justizreform. Brüssel wirft der PiS-Regierung vor, die Unabhängigkeit der Justiz zu unterwandern. Die Partei entgegnet, die Reform sei nötig, um die Gerichte effizienter zu machen und sie von den letzten Fesseln des Kommunismus zu befreien. 

(Reuters)