Der Leitzins und der Zins auf Sichteinlagen bei der Notenbank betragen ab 17. Juni 2022 neu minus 0,25 Prozent, wie die SNB am Donnerstag mitteilte. Seit Januar 2015 betrugen die Sätze minus 0,75 Prozent. Die Nationalbank straffe die Geldpolitik, um dem gestiegenen inflationären Druck entgegenzuwirken. 

Ökonomen kommentieren die geldpolitische Lagebeurteilung der SNB wie folgt:

Thomas Steinemann, Anlagechef Bank Bellerive: 

Der Zinsschritt der SNB ist zu begrüssen, insbesondere deswegen, weil nicht wie vielfach erwartet ein erster Schritt der EZB abgewartet wurde. Die Begründung zum aktuellen Schritt, nämlich dass der Franken nun nicht mehr überbewertet sei, mag etwas seltsam klingen und vermutlich in den höhen Inflationsraten im Euroraum begründet sein - dennoch ist er richtig.

Die negative Reaktion des Aktienmarktes scheint übertrieben zu sein und nimmt offenbar weitere starke Zinsanstiege voraus. Dies muss sich noch weisen, kühlt sich doch die Wirtschaft bereist ohnehin rasch ab und dämpft inflatorische Tendenzen ab.

Negative Zinsen sind ein Unding, das möglichst rasch - auch von der EZB - beseitigt gehört. Der Franken dürfte nun anziehen, was gewollt ist, um die importierte Inflation zu dämpfen. Exportorientierte Schweizer Aktien dürften deshalb noch geraume Zeit unter Druck bleiben.

Brian Mandt, Chefökomom Luzerner Kantonalbank

Und sie bewegt sich doch! Die SNB hat das Zinsruder herumgerissen und den Leitzins um 50 Basispunkte angehoben. Die Inflationsrate ist hierzulande zwar mit aktuell 2,9 Prozent im internationalen Vergleich noch moderat. Doch die Inflationsrisiken haben auch in der Schweiz zugenommen.

Daher war der Schritt nötig. Gleichzeitig kündigte die SNB weitere Zinsschritte an, um die inflationären Risiken einzudämmen. Mit dem Zinsschritt nimmt sie auch in Kauf, dass der Franken vor allem gegenüber dem Euro weiter stark bleibt oder sogar noch aufwertet. Dies dient den Schweizer Währungshütern als zusätzliches Mittel, um die importierte Inflation zu verringern.

Thomas Gitzel, Chefökonom VP Bank

Die SNB erhöht heute überraschend deutlich den Leitzins um 50 Basispunkte. Um Inflationsgefahren zu begegnen bedarf es eines klaren Handelns. Das ist gut so. Laut der SNB solle die straffere Geldpolitik verhindern, dass die Inflation in der Schweiz breiter auf Waren und Dienstleistungen übergreift. Weiter heisst es, nicht auszuschliessen sei, dass in absehbarer Zukunft weitere Zinserhöhungen nötig werden, um die Inflation auf mittlere Frist im Bereich der Preisstabilität zu stabilisieren. Die SNB wird also den Leitzins bei der nächsten Zinssitzung weiter erhöhen. Zum Jahresende werden die Zinsen in der Schweiz klar über der Null-Prozent-Marke liegen. Die Gnadenfrist für die Negativzinsen läuft ab.

Glückwunsch, SNB. Die Zinserhöhung ist die richtige Entscheidung. Auch wenn die eidgenössischen Währungshüter sich einer im internationalen Vergleich geringen Teuerungsrate von zuletzt 2,9 Prozent gegenübersahen, der Negativzins von 0,75 Prozent passte dazu trotzdem nicht. Es ist deshalb richtig, dass die SNB heute ein deutliches Zeichen setzte. Je schneller es mit den Leitzinsen nach oben geht, desto besser sind Inflationsgefahren unter Kontrolle zu bringen.

Bereits zum Jahresende wird in der Schweiz ein klares positives Zinsniveau zu verzeichnen sein. Auch dass die SNB vor der EZB reagiert ist richtig. Die SNB hat sich damit emanzipiert. Dies macht aber einmal mehr deutlich, wie sehr die EZB im Hintertreffen ist. Die europäischen Währungshüter fahren derzeit im Bummelzug weiter und riskieren damit die Glaubwürdigkeit ihre Geldpolitik.

Alexander Koch, Research Raiffeisen

Die SNB hat sich im Umfeld eines sich immer schneller drehenden Normalisierungskarussells der anderen Notenbanken dann doch selbst ebenfalls früher aus der Deckung gewagt. Mit einer Leitzinsanhebung um 50 Basispunkte hat sie den Zinsabstand zur EZB nicht nur verringert, sondern sogar umgekehrt. Dies hat EUR/Franken natürlich nach unten gedrückt, aber nicht wirklich sehr stark. Grund dafür sind sicherlich die bereits vorangekündigten Zinsanhebungen der EZB für die kommenden Monate, sowie dass ein präventiver SNB-Schritt teilweise bereits an den Zinsmärkten eingepreist war.

Die Zinserhöhung der SNB hat aufgrund des relativ wesentlich entspannteren Inflationsausblicks für die Schweiz einen eindeutig präventiveren Charakter als in den anderen Währungsräumen. Die neue mittelfristige Inflationsprojektion der SNB bleibt mit 1,6 Prozent auch unverändert innerhalb des Zielbandes von 0 bis 2 Prozent. Damit sind weitere Zinserhöhungen nach Einschätzung des Direktoriums nicht auszuschliessen, sind aber eben nicht wie bei der Fed oder der EZB unbedingt vorgezeichnet. Trotz des forschen Starts der SNB sollte damit insgesamt unverändert eine weniger weitgehende Zinsnormalisierung bevorstehen als andernorts.

Adrian Schneider, Anlagechef Graubündner Kantonalbank

Mit der bevorstehenden Zinserhöhung der EZB geht auch in der Schweiz die Ära der Negativzinsen zu Ende. Die SNB strafft die Geldpolitik um dem inflationären Druck entgegen zu wirken. In Bezug auf den weiteren Erhöhungspfad steht die SNB unserer Meinung nach wenig unter Druck. Wir erwarten im Herbst und im Dezember weitere Zinsschritte seitens SNB. Fürs 2022 rechnen wir in der Schweiz mit einem weiteren Anstieg der Leitzinsen um insgesamt 50 Basispunkte. Der Schweizer Konjunkturmotor läuft allen Unkenrufen zum Trotz bis anhin hochtourig. Wichtige Vorlaufindikatoren legen für das Jahr 2023 mittlerweile aber eine spürbare Konjunkturabkühlung nahe.

Ein markanter Einbruch zeichnet sich in der Schweiz indes nicht ab. Selbst der Krieg in der Ukraine hat die hiesige Wirtschaftsaktivität wenig belastet. Auf globaler Ebene haben die Wirtschaftsrisiken jüngst aber deutlich zugenommen. In der Schweiz befindet sich die Inflation im Vergleich zum Euroraum nur leicht über der Zielmarke von 2 Prozent. Die SNB wird allerdings die Zinsdifferenz zum Euroraum im Auge behalten. Ein zu starkes Ansteigen der Zinsdifferenz schwächt den Franken. Die Erhöhung der Inflationsprognose für 2022 (von 2,1 Prozent auf 2,8 Prozent) reiht sich in die Massnahmen etlicher westlicher Notenbanken ein und kommt wenig überraschend. 

(Reuters/AWP/cash)