Bis zu 750 000 Menschen sollten sich Erwartungen zufolge an dem Grossstreik beteiligen. 10 000 Sicherheitskräfte waren mobilisiert.
Frankreichs Regierung will das reguläre Renteneintrittsalter schrittweise von 62 auf 64 Jahre anheben. Ausserdem soll die Zahl der nötigen Einzahlungsjahre für eine volle Rente schneller steigen. Etliche Einzelsysteme mit Privilegien für bestimmte Berufsgruppen sollen abgeschafft werden.
Derzeit liegt das Renteneintrittsalter bei 62 Jahren. Tatsächlich beginnt der Ruhestand im Durchschnitt aber später: Wer nicht lang genug eingezahlt hat, um Anspruch auf eine volle Rente zu haben, arbeitet auch länger. Mit 67 Jahren gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer Rente ohne Abschlag - dies will die Regierung beibehalten. Die monatliche Mindestrente will sie auf etwa 1200 Euro hochsetzen. Für Menschen, die besonders früh angefangen haben zu arbeiten oder deren Arbeitsbedingungen aussergewöhnlich hart sind, soll es früher in den Ruhestand gehen.
Für die Gewerkschaften ist der Reformplan brutal und ungerecht. Viele Demonstrantinnen und Demonstranten in Paris sprechen sich vor allem gegen die längere Arbeitszeit aus. "Ich sehe mich im Alter von 64 Jahren nicht hinter Kindern herrennen", sagt die 57-jährige Adekoya, die mit Kleinkindern arbeitet. Die 49-jährige Sylvie aus dem Pflegebereich erzählt: "Meine Kollegen sind schon überall kaputt. Die Schultern, der Rücken, alles ist abgenutzt. Es wird für uns schon schwierig sein, bis 62 durchzuhalten."
Die Regierung hält das Vorhaben aber für notwendig, begründet es damit, dass das jetzige System sich langfristig nicht finanzieren lasse. Immerhin gebe es in der alternden Bevölkerung immer weniger einzahlende Arbeitnehmer pro Rentner. Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sagte, das aktuelle System würde im Jahr 2030 ein Minus von 13,5 Milliarden Euro angehäuft haben. Auch Regierungssprecher Olivier Véran betonte: "Das ist keine aufrechterhaltbare Situation, weil sie uns kollektiv in Gefahr bringt."
Einer Umfrage zufolge halten zwar auch vier von fünf Franzosen eine Reform für nötig, den aktuellen Plan lehnen aber mehr als 60 Prozent ab. Ein Demonstrant, der seinen Namen nicht in den Medien sehen will, meint: "Es würde reichen, die öffentliche Gelder umzulenken." Die Regierung wirbt: Mit der Reform kann auf Rentenkürzungen, höhere Rentenbeiträge und eine höhere Staatsverschuldung verzichtet werden.
Im Parlament kann die Regierung wohl auf die Unterstützung der Konservativen setzen. Ob der Gegenwind von der Strasse, ihr einen Stein in den Weg legen wird, bleibt abzuwarten. Die Gewerkschaften wollen, dass die Bewegung anhält, es verlängerbare Streiks gibt.
Die heftige Kritik an der Reform war erwartbar. Bereits in seiner ersten Amtszeit hatte Macron das Rentensystem reformieren wollen. Wochenlang gab es Streiks gegen das Vorhaben, das letztlich wegen der Corona-Pandemie verschoben wurde. Nun gibt sich die Regierung betont entspannt, versichert, die Sorgen ihrer Bevölkerung hören zu wollen, ruft das durchaus streikfreudige Frankreich aber auch dazu auf, nicht zu blockieren. "Man sagt, es gibt die Gefahr eines Stillstands, aber es liegt nicht an uns, es liegt an ihnen", sagt die 68-jährige Françoise Lemaulf. Ihre 74-jährige Freundin Marie-Suzie Pencher pflichtet ihr bei: "Die Arbeitskräfte sind bereit, zu kämpfen, und wir werden nicht klein beigeben." Es gäbe sowohl die Arbeitgeber als auch die Regierung: "Es ist an ihnen, einen Schritt zurück zu gehen, es ist an ihnen zuzuhören."
"Was wir letztlich wollen, ist sozialer Fortschritt", sagt die Forscherin und Gewerkschafterin Lou Chenier. Die 37-Jährige, die Teil der Skelett-Tanztruppe ist, meint: "Die Rente sollte ein Moment der Ruhe und der Pause sein und nicht ein Sterbeheim."/rbo/DP/mis
(AWP)