cash.ch: Die Börsen schmieren weiter ab, nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen nicht senkte. Hatten die Börsen zu fest mit der Zinssenkung gerechnet?

Thomas Stucki: Offensichtlich haben die Börsen mit einer Senkung gerechnet. Die Erwartungshaltung ist vermutlich noch weiter gegangen. Dass Christine Lagarde, Präsidentin der EZB, etwas aus dem Hut zaubert, was die Märkte im positiven Sinne überrascht hätte. Sie hat aber kein Wundermittel wie Helikoptergeld oder die Ausweitung des Anleihenaufkaufprogramm auf Aktien hervorgeholt.

Hat die EZB falsch entschieden?

Die EZB hat ihr Instrumentarium hervorgenommen: Den Banken mehr Kredite zur Verfügung zu stellen und das Anleihenaufkaufprogramm zu erhöhen. Aus meiner Sicht hat die EZB ihr Instrumentarium sinnvoll eingesetzt.

Weshalb hat die EZB die Zinsen nicht gesenkt?

Sie hat zwei Sachen gemacht: Das Anleihenaufkaufprogramm aufgestockt und das Bankensystem entlastet. Mit einer Senkung des Einlagensatzes hätte die EZB in erster Linie die Banken stärker unter Druck gesetzt und damit bestraft. Die EZB wollte die Diskussion darüber verhindern, ob die europäischen Banken Konkurs gehen.

Welche Massnahmen könnten die Notenbanken als nächstes machen? Aktien aufkaufen?

Die Bank of Japan macht schon Aktienaufkaufprogramme. Dies hat sie Donnerstagmorgen erneut angekündigt. In einer solchen Situation Aktien aufzukaufen, ist aber nicht sehr sinnvoll. Es kann kein Hilfsentscheid einer Notenbank sein, Aktien zu kaufen um den Aktienmarkt zu stützen. Eine kurzfristige Stützung des Aktienmarkts wäre das einzige, was damit erreicht würde. Die Aufgabe einer Zentralbank ist es, die Konjunktur zu stützen. Mit einer gezielten Unterstützung von Firmen mit kurzfristigen Liquiditätsproblemen erreicht hier eine Zentralbank viel mehr.

Gehen den Notenbanken nicht langsam die Mittel aus, um die Konjunktur zu stützen?

Dies ist sicherlich so, vor allem in Europa und in der Schweiz. Die US-Notenbank Fed hat hingegen noch relativ viele Pfeile im Köcher. Die Fed kann die Zinsen auf 0 Prozent senken. Dies wird sie vermutlich auch machen. Die Fed kann aber auch ein QE-Programm (Anm. der Red.: Ausweitung der Geldbasis durch Kauf von privaten oder öffentlichen Wertpapieren von den Geschäftsbanken) ins Leben rufen, was auch sehr wahrscheinlich ist. Mit diesen Mitteln kann die Fed die Konjunktur und die psychologische Verfassung der Marktteilnehmer stützen.

Ist in diesem Fall in Europa und der Schweiz die Fiskalpolitik das richtige Mittel?

In der Schweiz ist die klassische Kurzarbeit oder Überbrückungskredite für Liquiditätsengpässe bei Unternehmen gefragt. Der Staat hat in der aktuellen Lage wesentlich mehr Möglichkeiten auf die Auswirkungen des Coronavirus zu reagieren als die Zentralbanken.

Welche Schritte unternimmt die Schweizerische Nationalbank nächste Woche?

Für die SNB war am Donnerstag sicherlich gut, dass die EZB die Zinsen nicht gesenkt hat. Dies hat den Druck von der SNB leicht weggenommen, unbedingt auch die Zinsen zu senken. Ich gehe davon aus, dass die SNB nächste Wochen keine Massnahmen beschliessen wird.

Wird die SNB gar nichts unternehmen?

Die SNB wird zeigen, dass die Bereitschaft zu einer Zinssenkung, wenn notwendig, vorhanden wäre. In der Realität wird die SNB aber hauptsächlich am Devisenmarkt intervenieren, um der Frankenstärke zu begegnen.

Die Bankaktien wie UBS und CS stürzen immer mehr in die Tiefe. Ist das gerechtfertigt?

Dass die Bankaktien tief sind, ist gerechtfertigt. Dass nun die Bankaktien aber so tief gefallen sind, ist eine gewisse Übertreibung. Das Problem der Banken ist, dass die Zinsen eher noch weiter zurückgehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die SNB die Zinsen senkt, ist eben grösser, als dass sie diese anhebt.

Was ist die Konsequenz dieses Marktumfeldes für die Banken?

Das flache Zinskurve wird länger andauern. Je länger dies andauert, desto schwieriger ist es für die Banken, auf der Zinsseite Erträge zu generieren. Der Druck auf den Bankaktien ist primär eine Zinsgeschichte.

Muss man sich Sorgen machen um die Schweizer Grossbanken?

Nein, diese sind im besseren Zustand als 2008. Sie haben auch weniger Anlagenpapiere auf ihren Büchern, wo die Verluste schnell auf ihr Eigenkapital durchschlagen. Die Verluste werden in den nächsten Monaten auf der Kreditseite erfolgen. Diese werden aber nicht so massiv sein, dass die Banken unter Druck gerieten.

Würde die SNB den Banken sofort beistehen?

Absolut, die Nationalbank hat gelernt, wie mit unsicheren Banken umzugehen ist. In einem Zweifelsfall würde die SNB keine Minute zögern, um eine der Grossbanken wie 2008 zu retten. Aber auch die EZB hat ihre Lehren gezogen.

Wann kommt die grosse Erholung an den Börsen?

Es braucht irgendein Signal, dass die Situation nicht so rabenschwarz ist, wie man momentan annimmt. Wenn es zum Beispiel ein Medikament gäbe, das ein bisschen nützen würde. Ebenso würde sicherlich helfen, wenn sich der amerikanische Kongress auf ein substanzielles Hilfsprogramm einigte. Aber auch ein QE-Programm der amerikanischen Zentralbank Fed könnte einen Nutzen zeigen. Es braucht einfach dieses positive Zeichen. Momentan dominieren die negativen Zeichen. Das ist nicht hilfreich.

 

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