Vielen Unternehmenslenkern ist nun klar geworden, dass sie nicht darauf setzen können, dass dies wieder passiert. Grossbritannien hat erklärt, dass es gegen internationales Recht verstossen und sich an Teile des im Januar unterzeichneten Ausstrittsabkommens nicht halten würde.

Zwar ist eine Vereinbarung immer noch möglich, aber die Unternehmen treffen nun Vorbereitungen für ihr Basis-Szenario: Sie stocken Lager auf und holen Notfallpläne aus der Schublade, von denen sie hofften, dass diese nie benötigt werden.

Der Autobauer BMW, der in Grossbritannien den Mini und den Rolls Royce herstellt, hat Pläne konzipiert, um die Lieferungen für ihre Mini-Fertigungsanlage in Oxford sicherzustellen. Dorthin bringen etwa 120 Lkws täglich Komponenten von circa 400 europäischen Unternehmen.

Der Flugzeughersteller Airbus, der auf den reibungslosen Warenverkehr zwischen seinen Standorten in Frankreich, Deutschland, Spanien und Grossbritannien angewiesen ist, hat seine wöchentlichen Brexit-Krisenmanagement-Sitzungen wieder aufgenommen und bereits zig Millionen Euro in den Aufbau von Lagerbeständen investiert, um einem Mangel vorzubeugen.

Im Finanzsektor verlagert die französische BNP Paribas einige ihrer Sales-Positionen von Grossbritannien auf den Kontinent, da diese Mitarbeiter nicht mehr Leistungen an EU-Kunden vermarkten dürfen. Britische Banken informieren bestimmte Kunden in der EU, dass ihre Konten geschlossen und ihre Kreditkarten ungültig gemacht werden.

Deutschland stark exponiert

Für kein Land steht mehr auf dem Spiel als für Deutschland, Europas grössten Exporteur. Im vergangenen Jahr kaufte Grossbritannien für knapp 85 Milliarden Dollar Waren aus Deutschland, mehr als aus irgendeinem anderen Land der Welt. Etwa 460'000 Arbeitsplätze in der grössten europäischen Volkswirtschaft seien von Exporten nach Grossbritannien abhängig, sagte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in dieser Woche.

Auf einer Veranstaltung am Dienstag für 40 Unternehmensentscheider standen als Themen Zölle für alles Mögliche von Mercedes-Benz-Limousinen bis zu Bayer-Arzneimitteln auf der Agenda sowie das Ende der einheitlichen Vorschriften, die Lieferketten von Chemieproduzenten wie BASF tangieren könnten. Sie diskutierten, wie britische Kundendaten zu behandeln seien sowie das Risiko, dass Lieferungen ab 1. Januar stecken bleiben. Am gleichen Tag warnte die Regierung in London, dass sich in einem "realistischen Worst-Case-Szenario" 7000 Lkws in England stauen könnten.

Besonders betroffen ist die Autobranche. In Deutschland tagte auch der Verband der Automobilindustrie. In einer zweistündigen virtuellen Konferenz wurden die Mitglieder über Themen wie Zölle, Logistik und Freizügigkeit der Arbeitnehmer informiert.

Europäische Autobranche als Verlierer

Im Falle eines No-Deal-Brexit würde die europäische Autobranche bis 2025 etwa 110 Milliarden Euro an Handel verlieren, sagten zwei Dutzend der Autoindustriegruppen in der vergangenen Woche. Sollte bis Jahresende keine Vereinbarung da sein, müssten die Unternehmen unter den nicht-präferentiellen Regeln der Welthandelsorganisation agieren, die Zölle von 10 Prozent für Autos und von bis zu 22 Prozent für Liefer- und Lastkraftwagen vorsehen - diese Aufschläge sind bedeutend höher als die Gewinnnmargen der meisten Hersteller.

Die Zölle müssten mit ziemlicher Sicherheit an die Verbraucher weitergegeben werden, was die Fahrzeuge teurer machen, die Auswahl reduzieren und die Nachfrage beeinträchtigen würde, sagten die Gruppen. Das werde die Produktion verteuern oder zu mehr Importen von Komponenten aus anderen wettbewerbsfähigen Ländern führen.

Bei der Montage eines Mini in Oxford nutzt BMW Autoteile vom gesamten Kontinent, beispielsweise Windschutzscheiben aus Deutschland und Dachverkleidungen aus Italien. Acht von 10 in Grossbritannien produzierten Mini und Rolls Royce werden exportiert, mehr als die Hälfte davon in EU-Länder. Damit könnten auf BMW bei Einfuhren von Teilen und bei Exporten von Autos Zölle zukommen.

Die Nerven liegen auch bei vielen exportorientierten Mittelstands-Unternehmen blank. In den letzten Wochen haben sie von der britischen Handelskammer in Deutschland mehr Infos angefordert, sagte Ilka Hartmann, die Chefin der Organisation.

"Die Unsicherheit belastet alle", erklärte sie. "Die Chancen auf eine sinnvolle Vereinbarung, die nicht nur eine Notfallmassnahme ist, werden mit jedem Tag, der vergeht, geringer."

(Bloomberg)