cash.ch: Die Hypozinsen haben sich seit Jahresbeginn in der Schweiz im Durchschnitt bereits mehr als verdoppelt. Wie haben sich Angebot und Nachfrage auf dem Markt für Wohnimmobilien in diesem Umfeld entwickelt?

Siham Rafael Balutsch: Die Nachfrage nach Wohneigentum ist trotz der gestiegenen Hypothekarzinsen stabil geblieben. Dem stehen ein knappes Angebot und eine rückläufige Bautätigkeit gegenüber. Zudem ist die Schweiz gut durch die Pandemie gekommen und die Wirtschaftslage hat sich im Vergleich zu den Nachbarländern robust erwiesen. 

Das klingt so, als würde sich die angespannte Situation auf dem Markt für Wohneigentum noch verschärfen. Wird der Preisauftrieb unvermindert weitergehen?

Die Nachfrage nach Wohneigentum bleibt hoch, auch wenn etwas abgekühlt. Aber nach dem erstmaligen Zinsschock sind die Wohneigentumskredite zuletzt wieder günstiger geworden. Und Geldmarkt-Hypotheken kann man weiterhin zu attraktiven Konditionen erhalten, was die Nachfrage weiter stützt. Gleichzeitig bleiben die Baubewilligungen für Eigentumswohnungen auf einem tiefen Stand. Das Angebot wird sich mittelfristig nicht derart ausweiten, dass der Nachfrageüberhang absorbiert werden könnte. Diese Gesamtmengenlage stützt die Preise auf einem hohen Niveau und macht weitere Preissteigerungen möglich. Doch die Dynamik der Preisanstiege von den letzten Jahren wird sich nicht fortsetzen.

Was man sich immer wieder fragt: Wer kann sich Wohnimmobilien in der Schweiz noch leisten?

In Grosszentren und deren Agglomerationsgemeinden konnte man in der Vergangenheit eine sehr starke Preisentwicklung feststellen, so dass sich nur noch die oberen Käuferschichten und Doppelverdiener mit einer hohen Vermögensbasis Wohneigentum leisten können. Auch gesamtschweizerisch ist das Preisniveau hoch. Vor allem jüngere Generationen sind für den Kauf von Wohneigentum auf Erbvorbezüge und Schenkungen von älteren Generationen angewiesen. 

Ohne den Vermögenstransfer zwischen den Generationen wird es schwierig?

Ja, man braucht eine entsprechende Vermögenskapitalbasis. Zudem ist wegen der restriktiven Hypothekarvergabe ein angemessenes Einkommen notwendig. Die Tragbarkeitsrechnung geht von einem hohen Zinssatz von 5 Prozent aus.

Es gibt auch warnende Stimmen, die wegen der steigenden Zinsen einen Preisdruck beim Wohneigentum in der Schweiz prognostizieren. Ist dies Schwarzmalerei?

Eine Preiskorrektur dürfte es kurzfristig nicht geben. Es gibt aber regionale Unterschiede. Vor allem in den Agglomerationen der fünf Grosszentren Zürich, Genf, Basel, Bern und Lausanne bleibt das Angebot weiterhin knapp. Es sind wenige Objekte auf dem Markt und gleichzeitig besteht eine hohe Nachfrage.

Was müsste passieren, damit die Preise von Wohnimmobilien in der Schweiz wirklich sinken?

Es müsste einen deutlichen Rückgang des Nachfrageüberhangs geben oder eine Umkehrung zu einem Angebotsüberhang, damit die Preise für Wohnimmobilien sinken. Der Nachfrageüberhang wird sich aber nur reduzieren, wenn die Zinsen deutlich höher gehen und Eigentum im Vergleich zum Mieten wieder an Attraktivität verliert. Die Schweizerische Nationalbank wird vermutlich die Leitzinsen im September nur um 0,25 Prozentpunkte anheben, da sich die Konjunktur merklich abkühlen dürfte.

Das Angebot dürfte in der Schweiz kaum grösser werden, da das Bauland so begrenzt ist?

Genau. Wegen dem knappen Gut Bauland und der restriktive Raumplanungspolitik des Bundes wird sich das Angebot nicht derart ausweiten, so dass dies den Nachfrageüberhang kompensieren würde.

Doch Obligationen bieten heute eine Alternative, um Geld anzulegen. Inwiefern hat sich das Anlageverhalten von institutionellen Investoren verändert?

Die Renditedifferenz zwischen Schweizer Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit und Immobilienanlagen haben sich in den letzten Monaten verringert. Der Anleihemarkt hat relativ an Attraktivität gewonnen. Aber eine Reaktion der institutionellen Investoren konnte am Markt noch nicht festgestellt werden, da lange Entscheidungsprozesse bei grossen Immobilieninvestitionen die Regel sind.

Auch die Mietpreise sind in der Schweiz im ersten Halbjahr 2022 weiter gestiegen. Was ist der Haupttreiber für die steigenden Mietkosten?

Die Zuwanderung ist einer der Haupttreiber. Diese hat wieder zugenommen, was direkte Auswirkungen auf die Nachfrage nach Mietwohnungen hat. 

Die Zuwanderung wird die Mietpreise weiter nach oben treiben?

Die Schweiz sticht im europäischen Vergleich mit einer starken wirtschaftlichen Erholung, tiefer Arbeitslosigkeit und einer aktuell hohen Anzahl an vakanten Stellen heraus. Wir haben daher trotz hoher Mietpreise eine hohe Nachfrage. Dem steht auf dem Mietwohnungsmarkt ein rückläufiges Angebot an neu erstellten Mietwohnungen gegenüber. Eine Entspannung rund um die grossen und teilweise mittleren Zentren ist nicht in Sicht. Die Zuwanderung dürfte daher die Mietpreise weiter in die Höhe treiben. 

Mit dem aktuellen Hitzestress in Europa rücken Klimarisiken auch beim Wohneigentum in den Fokus. Inwiefern haben diese einen Einfluss auf den Immobilienmarkt?

Die Reduzierung des CO2-Fussabdrucks ist bei Investoren schon seit geraumer Zeit auf dem Radar. Die Prognosen des Bundes gehen davon aus, dass die Städte bis 2050 mit einem Temperaturanstieg von drei bis fünf Grad rechnen müssen. Für Investoren bedeutet dies eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit und regulatorischen Vorschriften. Neben dem Einsatz von nachhaltigen Baumaterialien muss auch ein energieeffizienter Betrieb der Immobilie gewährleistet sein. Auf der anderen Seite haben wir den Nutzermarkt: Die Hitzebelastung wird in urbanen Gebieten zunehmend zur Herausforderung. Städtische Gebiete müssen bei urbanen Neubauprojekten so planen, damit die Immobilie bei Lufttemperaturen über 30 Grad und längeren Hitzeperioden attraktiv bleibt.

Wie haben sich Angebot und Nachfrage auf dem Markt für Büroliegenschaften in den letzten Monaten entwickelt?

Die Erholung der Schweizer Wirtschaft hat auch auf dem Büromarkt Spuren hinterlassen. Die Arbeitslosigkeit hat mit 2,0 Prozent Ende Juni einen neuen Tiefststand erreicht. Aktuell überwiegen immer noch Aufholeffekte von Immobilienprojekten, die während der Pandemie nach hinten verschoben worden sind.

Gibt es regionale Unterschiede zwischen ländlichen Gebieten und den Wirtschaftszentren?

Seit dem Juni 2021 hat das Flächenangebot auf dem Büromarkt Gesamtschweizerisch um 11 Prozent abgenommen. Doch es gibt starke regionale Unterschiede: In der Region Zürich sind die verfügbaren Flächen um 20 Prozent zurückgegangen, wohingegen in der Region Basel die Flächen um 21 Prozent zugenommen haben.

Inwiefern spielt Home-Office noch eine Rolle?

Home-Office hat sich inzwischen etabliert und ist nicht mehr wegzudenken. Man kann davon ausgehen, dass die Flächeneinsparungen durch den Abbau von fixen Arbeitsplätzen hin zu Desksharing mit neuen Gemeinschaftsflächen zur Kollaboration oder Erholung kompensiert werden. Welche Bürokonzepte sich mittel- bis langfristig durchsetzen, gilt abzuwarten. Je nach Internationalisierungsgrad und Grösse von Unternehmen werden sich verschiedene Lösungen durchsetzen.

Siham Rafael Balutsch ist Senior Researcher im Bereich Research & Marktanalyse bei der Immobiliendienstleisterin CSL Immobilien in Zürich.

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