Waren und Dienstleistungen kosteten in Deutschland 5,2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt am Montag in einer ersten Schätzung mitteilte. Einen höheren Wert gab es zuletzt während des Wiedervereinigungsbooms im Juni 1992 mit 5,8 Prozent. Für den erneuten Preisschub sorgte vor allem teure Energie. Von Reuters befragte Ökonomen hatten nur einen Anstieg auf 5,0 Prozent prognostiziert. Sie sagten in ersten Reaktionen:

Heinemann, ZEW: «Kein Grund zur Panik»

"Deutschland erlebt den stärksten Inflationsschub seit drei Jahrzehnten. Die Fünf vor dem Komma ist aber kein Grund zur Panik. Der Novemberwert könnte jetzt schon der Scheitelpunkt des Inflationsschubs sein. Die aktuell deutliche Abwärtskorrektur bei den Ölpreisen und die unausweichlichen neuen Kontakt-Einschränkungen in der vierten Welle werden schon rasch preisdämpfend wirken. Ab Januar ist dazu mit einem statistischen Bremseffekt bei der Inflationsrate zu rechnen, weil die Erhöhung der Mehrwertsteuer aus dem Jahresvergleich herausfällt. So sicher das Absacken der Inflationsrate ab Januar ist, so unklar bleibt, ob Deutschland in den kommenden zwei Jahren wieder mit Inflationsraten in einem Bereich von zwei Prozent rechnen kann. Das entscheidet sich in den kommenden Tarifverhandlungen und letztlich auch im Rat der Europäischen Zentralbank", sagt Friedrich Heinemann, ZEW.

Dullien, IMK-Institut: «Gute Chancen, dass Höhepunkt erreicht»

"Es bestehen gute Chancen, dass wir mit dem aktuellen Anstieg den Höhepunkt der Inflation erreicht haben oder dass dieser zumindest im Dezember erreicht wird. Wir rechnen spätestens ab Januar mit fallenden Inflationsraten. Allerdings könnte es bis in die zweite Jahreshälfte 2022 dauern, bis die Inflationsrate wieder unter die Marke von 2,0 Prozent fällt. Derzeit spricht zudem wenig für eine Lohn-Preis-Spirale, wie man unter anderem am Tarifabschluss der Länder erkennen kann. Gesamtwirtschaftlich könnten die Lohnkosten pro Jahr nominal um rund drei Prozent zulegen – die Zielinflation der EZB plus der Trendproduktivität.

Aufs Jahr gerechnet bleibt der Abschluss der Länder wie auch die meisten anderen Tarifabschlüsse für dieses und nächstes Jahr spürbar unter dieser Marke. Damit geht von den Lohnkosten kein Inflationsdruck aus. Auch in anderen europäischen Ländern ist derzeit von übermässigen Lohnabschlüssen nichts zu erkennen. Solange die tatsächliche Inflation 2022 - wie bisher üblicherweise prognostiziert – wieder spürbar sinkt, braucht sich derzeit die Europäische Zentralbank keine Sorgen über inflationären Kostendruck von der Lohnseite zu machen", sagt Sebastian Dullien vom IMK-Institut.

Heise, HQ Trust: Entwicklung der Energiepreise entscheidend

"Der 'Black Friday' hat die deutschen Verbraucher nicht gerettet, ebenso wenig wie die im November immer günstigeren Pauschalreisen. Die teure Energie spielt derzeit die Hauptrolle als Preistreiber. Ob der Höhepunkt der Preisniveausteigerungen erreicht ist, hängt vor allem von der Entwicklung der Energiepreise ab. Die jüngsten Abschläge bei den Rohölpreisnotierungen werden, wenn sie Bestand haben, relativ schnell die Kraftstoff- und Heizölverteuerung dämpfen. Aufwärtsdruck bei den Kosten der Haushalte für Energie wird aber durch die weitere Anhebung der C02-Abgabe zu Jahresbeginn und den verzögerten Anstieg der Gaspreise im Haushaltsverbrauch bleiben. Zahlreiche Gasversorger haben bereits mit Preisanpassungen begonnen oder solche angekündigt", sagt Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust.

Köhler-Geib, KFW: «Licht am Ende des Tunnels»

"Für das kommende Jahr sehe ich Licht am Ende des Tunnels. Es ist sehr wahrscheinlich dass sich die Inflation schrittweise zurückbildet und Mitte des Jahres die Zwei-Prozent-Marke wieder unterschreitet. Mit Blick auf die Geldpolitik ist eine ruhige Hand gefragt. Vor dem Hintergrund der überwiegend temporären und auch angebotsseitigen Effekte würden kurzfristige Straffungsmassnahmen einerseits verpuffen", sagt Fritzi Köhler-Geib, KFW.

Gitzel, VP Bank: «Inflationsraten werden hohem Niveau bleiben»  - fallender Trend

"Beim Blick auf die Inflationsrate könnte es einem fast schwindelig werden. Teuerungsraten in dieser Grössenordnung wurden zuletzt im Zuge des Wiedervereinigungsbooms gemessen. Der ganze Mix aus Basiseffekten, höheren Energiepreisen, geringerem Mehrwertsteuersatz im Vorjahr und die Materialknappheiten manifestieren sich nun in dieser hohen Inflationsrate. Die November-Inflationsrate sollte aber den vorläufigen Teuerungshöchststand markieren. Basiseffekte laufen nun aus. Der Konsumentenpreisanstieg dürfte gemessen gegenüber dem Vorjahr im Dezember geringer ausfallen.

Die Inflationsraten werden zwar in den kommenden Monaten noch auf verhältnismässig hohem Niveau bleiben, doch ein fallender Trend sollte erkennbar sein. Bleiben Zweitrundeneffekte aus, dürfte zur Jahresmitte 2022 bereits schon wieder die EZB-Zielmarke von zwei Prozent angesteuert werden. So erschreckend hoch die Inflationsrate in November auch ausfällt, die Zahl markiert das vorläufige Ende des immensen Teuerungsschubes. Gerade deshalb wird die EZB weiterhin gelassen mit den hohen Inflationsraten umgehen", sagt Thomas Gitzel von der VP Bank

Krämer, Commerzbank: «EZB sollte den Fuss vom Gas nehmen»

"Mit 5,2 Prozent ist die Inflation jetzt so hoch wie Anfang der 1990er Jahre nach dem deutschen Vereinigungsbooms. Besorgniserregend ist, dass die Verbraucherpreise allein gegenüber Oktober saisonbereinigt ungewöhnlich kräftig um 0,6 Prozent gestiegen sind. Ausserdem legen die Preise mittlerweile auf breiterer Front zu, es geht nicht mehr nur um Energie und einige besonders von Corona betroffene Güter. Zwar dürfte die Inflation wegen des Wegfalls einiger Sonderfaktoren nach der Jahreswende wieder sinken. Aber wegen der hohen Haushaltsdefizite und der EZB-Anleihekäufe gelangt weiter zu viel Geld in Umlauf. Die EZB sollte den Fuss vom Gas nehmen, ihre Anleihekäufe einstellen und die Negativzinspolitik beenden", sagt Jörg Krämer von der Commerzbank

(Reuters)