Das Coronavirus bringt zumindest potentiell verheerende Folgen für die Finanzmärkte mit sich. Etwa wenn, wie UBS-Präsident Axel Weber bei Bloomberg prognostizierte, das globale Wachstum von 3,5 auf 0,5 Prozent absackt oder China wirtschaftlich schrumpfen wird. Oder, wenn in grossen Volkswirtschaften wegen Quarantäne ein Teil des öffentlichen Lebens längere Zeit stillsteht: Dies droht derzeit vor allem in Italien. Ausser Betrieb stehende Fabriken in China lassen zudem Sorgen um internationale Lieferketten aufkommen. 

Weil zur Zeit niemand weiss, wie lange es bis zu einer effektiven Eindämmung des Virus’ dauern wird, sind die Nerven angespannt. Die konjunkturellen Schäden sind nicht bezifferbar. Massiv gestiegene Ängste vor einer um sich greifenden Epidemie grösseren Ausmassen haben zum Wochenanfang die Aktienmärkte weltweit zu Boden gebracht, nachdem es in Italien und damit erstmals in der europäischen Bevölkerung zu ersten Coronavirus-Todesfällen gekommen war. 

Drei bis vier Prozent Kursrückgang an nur einem Tag, wie sie am Montag in der Schweiz, in Europa, an den US-Börsen und an den wichtigen Finanzplätzen in Asien verzeichnet wurden, ereignen sich nur alle paar Jahre. Im ganzen Jahr 2019 und auch in den ersten Wochen 2020 haben sich die Märkte ausserordentlich optimistisch gezeigt. Umso böser war das Erwachen: Der Kursverfall vom Montag und weitere Kursverluste am gestrigen Dienstag haben nun, beispielsweise im SMI, die Kursgewinne seit Anfang Jahr zunichte gemacht.

Immer noch wenig Aktien-Alternativen

Die Grundmeinung am Markt, dass Aktien dank Tiefzinsen und wegen einer gewissen Alternativlosigkeit weiter gut laufen werden, hält sich aber auch nach dem jüngsten Coronaschock. "Für Panik ist es noch zu früh", schreibt Laurent Denize, Co-Anlagechef des Vermögensverwalters Oddo BHF. Sein Hauptszenario sieht nur temporären Gegenwind für das weltweite Wirtschaftswachstum voraus. Er bleibt deswegen beim Rat, Aktien wie auch Unternehmensanleihen überzugewichten und bei Staatsanleihen eher vorsichtig zu sein. 

Christian Mueller-Glissman, Direktor für die Vermögenszuteilung bei Goldman Sachs, ruft "TINA" in Erinnerung - "There is no alternative". "Die Leute sind zu Aktien praktisch gezwungen", sagte Mueller-Glissman in einem Interview. Aber dies gilt zunächst vor Anleger mit langfristigem Horizont. Der Goldman-Sachs-Manager sieht auch aktuelle Risiken. So könnte das Coronavirus die Unternehmensgewinne drücken, vor allem dann, wenn Lieferketten weiter beeinträchtigt werden. Anleger müssten mit weiterer Volatilität in den nächsten Tagen und Wochen umgehen können.

Unsicherheit noch nicht beseitigt

Dies heisst auch: Der Zeitpunkt für gezielte Zukäufe muss sorgfältig abgewartet werden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis am Dienstag der erste bestätigte Coronafall in der Schweiz gemeldet wurde. Auch aus anderen europäischen Ländern werden noch mehr Erkrankungen gemeldet werden. Weil dies nicht als Zeichen einer wirksamen Eindämmung der Krise gesehen werden kann, werden Aktienanleger an der Börse noch weitere Male mit Verkäufen reagieren.

Die nächsten Tage bleiben für Aktienanleger damit sehr unsicher. "Auch bei einer schnellen Gegenbewegung – falls es zu einer solchen kommt – bleibt die Volatilität hoch", sagt Fondsmanager Jan Widmer von der St. Galler Kantonalbank auf cash-Anfrage. Die Volatilität werde in den nächsten Wochen eher noch zunehmen. 

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Kräftige Gegenbewegung oder bloss ein Strohfeuer?

Alle Augen richten sich auf die nächsten Schritte im Virusdrama. Wenn die Neuinfektionen schliesslich zurückgehen, wird die Risikobereitschaft an den Aktienmärkten auch wieder steigen. Eine effektive Bekämpfung der Virusausbreitung in westlichen Ländern würde die derzeit angespannte Lage schon einmal entschärfen.

Wichtig ist aber, dass auch China, wo die Krise ihren Anfang nahm, die Lage sichtbar in den Griff bekommt. Aktuell rechnen manche Beobachter davon, dass im Lauf des März und des April eine Gegenbewegung an den Aktienmärkten eintreten könnte. Die St. Galler Kantonalbank etwa rät Anlegern, die eingeschlagene Strategie beizubehalten. 

Tücken bei Anleiheninvestments

Anlagespezialisten bringen noch zwei weitere Punkte ins Spiel, die für Aktienanleger wichtig sind: Zinssenkungen der Notenbanken oder ein zeitweises Ausweichen auf Anleihen. Die Eskalation der Viruskrise diese Woche hat bereits zu Spekulationen geführt, dass die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank nun eher bereit seien, mit Zinssenkungen den konjunkturellen Folgen der Viruskrise entgegenzuwirken. 

Laut dem Fondshaus Bantleon erwarten die Marktteilnehmer in den USA dieses Jahr mehr als zwei Zinssenkungen, während in der Eurozone eine weitere Absenkung des Negativinses beim Einlagesatz von -0,5 auf -0,6 Prozent eingepreist ist. Bezüglich Anleihen rät etwa J.P. Morgan Asset Management für eine ausgewogenere Position zwischen Anleihen und Aktien, weil der Ausgang der Krise noch nicht abzusehen sei. 

Wegen des Coronavirus' sind Anleihenkurse in den vergangenen Tagen angestiegen. Dennoch könnten sich Anleihen nur temporär als Alternative erweisen. Die Eindämmung des Virus im weiteren Jahresverlauf würde dazu führen, dass Nachholeffekte die konjunkturelle Delle ausglätten, sagt Uwe Pyde, Leiter Portfolio Management Anleihen bei der Bantleon Bank. Die Folge: "Die aktuell eingepreiste geldpolitische Unterstützung sollte deshalb nicht erforderlich sein und zu Enttäuschungspotential am Euro- und US-Anleihenmarkt führen." All dies münde dann in steigenden Renditen beziehungsweise Kursverlusten bei den Obligationen.