cash: Herr Hatheway, die Fed hat seit Dezember 2015 die Leitzinsen viermal erhöht, der Markt rechnet mit weiteren Zinsschritten in diesem Jahr. Welchen Zins-Outlook haben Sie für die USA?

Larry Hatheway: Die Federal Reserve verhält sich sehr vorsichtig. Grund dafür ist die relativ tiefe Inflation in den USA, dies trotz der Tatsache, dass in den USA nahezu Vollbeschäftigung herrscht. Die Notenbank hat dennoch Vertrauen in ihre Geldpolitik und ihre bislang getätigten Zinsschritte. Wir gehen davon aus, dass die Fed mit Zinserhöhungen im September fortfährt, dann aber im Dezember mit der Strategie zum Abbau der Fed-Bilanz starten wird.

Und 2018?

Da rechnen wir damit, dass die Fed die Zinsen nochmals zwei- bis dreimal erhöhen wird. Die allmähliche Normalisierung des Zinsumfeldes wird sich also im nächsten Jahr fortsetzen.

Der Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik ist sehr heikel. Was könnte dazu führen, dass dieser Exit schief läuft?

Die Gefahr liegt auf den ersten Blick darin, dass der Ausstieg zu schnell erfolgen und nicht den Gegebenheiten der Wirtschaft entsprechen könnte. Das heisst: Das Wachstum schwächt sich ab und die Fed hält an ihrem Plan fest. Diese Gefahr stufe ich allerdings als gering ein. Denn die US-Notenbank hat immer betont, dass sie eine Geldpolitik verfolgt, die abhängig ist von Wirtschaftsdaten. Die Gefahr liegt eher bei einer steigenden Inflation, was die Fed und auch die Märkte zum heutigen Zeitpunkt aber nicht erwarten. Die Notenbank müsste in einem solchen Fall reagieren, was natürlich zu Problemen an den Kapitalmärkten führen könnte.

Zu schnelle und zu hohe Zinsanstiege sind bekanntlich Gift für die Märkte.

Natürlich.

Das Wachstum der US-Wirtschaft für 2017 wird gemäss Schätzungen mit 2 bis 3 Prozent veranschlagt, was okay, aber nicht besonders hoch ist. Interessanterweise fallen aber die Renditen der zehnjährigen US-Staatsanleihen seit vier Monaten wieder, nachdem sie nach der Wahl von Donald Trump auf über 2,6 Prozent gestiegen waren. Glaubt der Markt nicht mehr an ein Anziehen des US-Wachstums?

Da würde ich nicht ganz zustimmen. Die Märkte sagen uns damit, dass die Inflation tief bleibt. In den USA und in Europa, mit Ausnahme von Grossbritannien, ist die Inflation zuletzt ja gefallen, was man in diesem Umfeld nicht unbedingt erwartet hatte. Die Realzinsen sind eher stabil. Das heisst, dass das Vertrauen in das Wachstum noch immer vorhanden ist. Sie haben es richtig gesagt: Das US-Wachstum ist respektabel, also auch nicht überraschend gut. Das ist vor allem auf die noch labile Nachfrage zurückzuführen. Diese wird rein durch das Einkommen der Leute bestimmt und nicht durch neue Verschuldung. Auch die Investitionen sind aktuell etwas mässig. Daher müssen die Zentralbanken, nicht nur diejenige in den USA, bei der Normalisierung des Zinsumfeldes sehr vorsichtig vorgehen.

Wegen der extrem lockeren Geldpolitik sind die Preise bei vielen Anlageklassen, das heisst Aktien, Obligationen oder Immobilien, stark angestiegen. Sind das klassische Anlageblasen, die nun eher früher als später platzen?

Die Preise von verschiedenen Assets sind natürlich sehr hoch. Das ist zum grössten Teil auf die Geldpolitik der Zentralbanken zurückzuführen. Aber ob das Blasen sind? Und ob die Anstiege rational nachvollziehbar sind? Das ist schon fast eine philosophische Frage. Wenn wir von Überbewertungen sprechen, dann müssen wir die Renditen bei den Obligationen erwähnen. Die sind meiner Meinung nach am meisten aus dem Gleichgewicht geraten. Schauen Sie: Negative Zinssätze sind nicht auf lange Zeit haltbar ebenso wenig wie langfristige Zinssätze, die unter dem potenziellen nominellen BIP-Wachstum der Wirtschaft liegen.

Ist die Bewertung von Aktien nicht auch aus dem Gleichgewicht geraten?

Das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt für die US-Aktienmärkte gemäss 'Shiller P/E' (Kennzahl für das Kurs-Gewinn-Verhältnis mit Berechnungsbasis des inflationsbereinigten mittleren Gewinnes der letzten zehn Jahre, Anm. der Red.) bei etwa 30. Das scheint sehr hoch. Doch in dieser Zahl ist auch der Kurseinbruch an den Börsen ab 2008 enthalten. Rechnet man diesen heraus, erhält man noch ein 'Shiller P/E' von unter 25. Das ist noch immer einigermassen hoch, aber stark überbewertet sehe ich Aktien heute nicht. Eine Überbewertung stelle ich wie gesagt eher bei festverzinslichen Papieren als bei Aktien fest.

Bei Aktien-Anlegern scheint sich dennoch etwas Unbehagen breit zu machen. cash.ch hat vor zwei Wochen eine Online-Umfrage durchgeführt mit 8000 Teilnehmern und mit der Frage: Wird der Swiss Market Index in den nächsten 12 Monaten mindestens 30 Prozent verlieren, also einen Crash erleiden. Da haben immerhin 42 Prozent gesagt: Ja, das wird eintreffen. Wie beurteilen Sie das?

(schmunzelt) Ich persönlich teile die Meinung der 42 Prozent nicht. Wobei ein Crash grundsätzlich nie ausgeschlossen werden kann. Man kann die Frage auch anders stellen: Was könnte einen Einbruch in dieser Höhe auslösen? Sicher würde der Einbruch des Euro-Systems bei vielen Aktienmärkten 30 Prozent ausradieren. Aber sonst erachte ich einen Rückschlag dieser Grössenordnung als eher unwahrscheinlich. Ich habe vorher einen unerwarteten Anstieg der Inflation genannt als möglichen Auslöser für einen Rückschlag der Märkte. Dies könnte die Aktienmärkte 10, vielleicht sogar 20 Prozent zurückwerfen. Nicht aus den Augen verlieren sollten wir die Entwicklung in China und eine mögliche harte Landung der Wirtschaft dort. Wir haben im August und September 2015 sowie im Januar 2016 gesehen, in welchem Ausmass die Märkte auf negative Entwicklungen in China reagieren.

Könnten geopolitische Gefahren und Entwicklungen wie im Nahen/Mittleren Osten oder in Sachen Nordkorea nicht auch massive Rückschläge für die Märkte bedeuten?

Szenarien und Entwicklungen dieser Art können immer negative Einwirkungen auf die Märkte und die Weltwirtschaft haben. Aber sie haben sich nach solchen Ereignissen immer wieder erholt. Und wir müssen auch sehen, dass die Märkte wie auch die Weltwirtschaft stabiler geworden sind. Das Wirtschaftswachstum basiert auf Einkommen, also durch Arbeitsstellen und Gewinne von Unternehmen, und nicht durch Verschuldung oder durch Fehlinvestitionen.

Wie sollte eine Asset Allocation für die nächsten zwei Jahre aussehen?

Wir bevorzugen Aktien aus dem Bereichen Japan, Schwellenländer und Europa. Bei den Obligationen schauen wir eher auf Kreditinstrumente aus dem Finanzbereich, die noch eine attraktive Rendite aufweisen. 

Das Interview mit Larry Hatheway fand anlässlich des Swiss Fund Forum 2017 am 21. Juni in Zürich statt.

Der britisch-amerikanische Doppelbürger Larry Hatheway ist seit 2015 Chefökonom beim Schweizer Vermögensverwalter GAM und dort seit letztem September auch Group Head of Investment Solutions. Vor seinem jetzigen Job war Hatheway 23 Jahre bei der UBS angestellt, so unter anderem als Globaler Leiter of Fixed-Income und  Währungsstrategie oder als Chefökonom bei der UBS Investmentbank. Vor seiner Zeit bei der UBS arbeitete Larry Hatheway bei der Federal Reserve und bei der Citibank.