Dieses Jahr dürfte die Branche in Summe laut einer neuen Schätzung nochmal fast drei Viertel mehr verdienen. Grund dafür sind logistische und personelle Engpässe, die angesichts der anhaltenden US-Importnachfrage die Kapazitäten verknappen.

Der Nettogewinn wird in diesem Jahr voraussichtlich auf 256 Milliarden Dollar (250 Milliarden Euro) steigen, wenn man die 11 von Branchenveteran John McCown, dem Gründer von Blue Alpha Capital, beobachteten Unternehmen zugrunde legt. Das ist ein Anstieg um 36 Milliarden Dollar gegenüber seiner letzten Schätzung vom April und entspricht in etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Portugal. McCown zufolge erreichte der Wert im vergangenen Jahr ein Allzeithoch von 148 Milliarden Dollar.

"Diese Gewinnsteigerungen sind auf die anhaltenden Frachtratenerhöhungen in Verträgen zurückzuführen, die die grosse Mehrheit der tatsächlich auf Schiffen beförderten Ladungen abdecken", so McCown. Obwohl die Spotraten das ganze Jahr über gesunken seien, machten diese nur einen kleinen Teil des gesamten Marktes aus.

Glückskinder der Pandemie

Zwei Jahre voller Störungen der Lieferketten haben eine Branche, die etwa 80 Prozent der weltweit verschickten Waren bewegt, von einem ewigen Geldverlierer zu einem der Glückskinder der Pandemie gemacht. Einige investieren in neue Schiffe mit saubereren Maschinen und mehr digitalen Verbindungen zu landgestützten Computernetzen.

Kritiker stehen schon parat: Die erschreckend hohe Inflation lässt Politiker nach Sündenböcken suchen. Einige Regierungen kritisieren die Gewinne der Schifffahrtsunternehmen, insbesondere, weil sich der Lebensstandard der Beschäftigten in der Branche nicht in gleichem Masse verbessert hat.

In Grossbritannien sind die Hafenarbeiter des grössten Containerhafens des Landes unzufrieden mit ihren Lohnzuwächsen und drohen mit Streik noch im August. An der Westküste der USA eröffneten die Gewerkschaftsführer der Hafenarbeiter die laufenden Vertragsgespräche im Mai mit dem Vorwurf, dass "ausländische, milliardenschwere Schifffahrtsunternehmen die amerikanischen Unternehmen ausnehmen, indem sie ihnen das Zehnfache der üblichen Frachtraten in Rechnung stellen, und so zum Anstieg der Inflation beigetragen haben."

Gewinne steigen trotz Konjunkturabkühlung weiter

Da sich die weltweite Konjunktur abschwächt, sollte man meinen, dass auch die Reeder weniger verdienen.  Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: viele der Ergebnisse für das zweite Quartal waren besser als erwartet - zuletzt die von Evergreen Marineaus Taiwan am Freitag.

Die in Kopenhagen ansässige AP Moller-Maersk, die Nummer 2 der Branche, sagte Anfang des Monats, dass sie 2022 einen Rekordgewinn von 31 Milliarden Dollar erwartet. Die deutsche Hapag-Lloyd, weltweit an fünfter Stelle, kündigte so hohe Gewinne an, wie man sie nur von den grössten Autobauern im Land kennt.

Obschon die von Drewry erfassten Spotraten seit Anfang des Jahres um fast 30 Prozent gesunken sind, steigen die Gewinne weiter. Das liegt daran, dass nur etwa 10 Prozent der Seefracht zu Spotmarkt-Konditionen befördert werden - der Rest auf Grundlage von Verträgen, in denen die Raten und Mengen für ein Jahr oder länger festgeschrieben sind, so McCown.

Nach McCowns Analyse lagen die Preise für Container im zweiten Quartal beim 2,8-fachen des Wertes vor zwei Jahren. Die durchschnittliche Spotrate war um das 4,7-fache höher, die Vertragsrate um das 2,1-fache

Maersk teilte am 3. August mit, dass die durchschnittliche Vertragsrate für einen 40-Fuss-Container in diesem Jahr voraussichtlich 1900 Dollar betragen wird, 500 Dollar mehr als am Ende des ersten Quartals vorhergesagt worden war.

Langfristige Verträge

"Die von den Reedereien veröffentlichten Finanzergebnisse zeigen, dass die Kunden ihre Lieferketten durch das Aushandeln langfristiger Verträge schützen", heisst es in einem Bericht der britischen Container Trade Statistics vom Montag. "Die Angst vor Engpässen in der Lieferkette hat dazu geführt, dass die Unternehmen lieber auf Nummer sicher gehen, als einen Spotmarkt zu riskieren."

In der Branche haben sich mittlerweile neun der grössten Unternehmen in drei Allianzen zusammengeschlossen, die sich die Schiffskapazitäten teilen. Die Politik ist zudem auch deshalb verärgert, weil den rasant steigende Raten derzeit nur eine Pünktlichkeit von gerade einmal 40 Prozent gegenübersteht.

Im Juli lehnte die französische Nationalversammlung eine auf Energie- und Transportunternehmen abzielende Steuer auf Krisengewinne nur knapp ab. Vor der Abstimmung erhöhte die in Marseille ansässige CMA CGM - die drittgrösste Containerlinie der Welt - einen Rabatt für Ladung von Asien nach Frankreich.

US-Präsident kritisiert Reeder

In den USA hat Präsident Joe Biden die Unternehmen aus der Containerschifffahrt, von denen die grössten in Asien und Europa sitzen, scharf kritisiert. Im Juni unterzeichnete er den Ocean Shipping Reform Act, der die Federal Maritime Commission anweist, Reedereien zu hindern, freien Frachtraum nicht für US-Exporte freizugeben, und bestimmte Gebühren unter die Lupe zu nehmen.

Die International Federation of Freight Forwarders Associations, eine in Genf ansässige Organisation, die 40'000 Logistikunternehmen vertritt, erklärte, dass es nicht nur um Container gehe, sondern auch darum, ob der Markt frei von Verzerrungen funktioniere.

"Die Preisschocks für Speditionen, Verbraucher und Zwischenhändler in der Lieferkette behindern die Erholung von der Pandemie und anderen wirtschaftlichen Schocks", so die Gruppe. Alle betroffenen Länder weltweit sollten über ihre Wettbewerbsbehörden genau darauf achten, dass der Markt nicht verzerrt wird gegebenenfalls schnell eingreifen.

(Bloomberg)