cash: Herr Neff, in den letzten zwei Tagen konnte beobachtet werden, dass der Franken bei politischen Krisen immer noch gefragt ist. Ist die Frankenschwäche nur vorübergehend?
Martin Neff: Alleine beim Wort Frankenschwäche dreht sich mir der Magen um. Der Schweizer Franken ist immer noch eine sehr starke Währung. Nur weil wir einen Euro-Franken-Kurs von 1,15 gesehen haben, ist das noch keine Schwäche. Damit ist der Franken immer noch stark überbewertet. Eine faire Bewertung anhand der Kaufkraftparität läge in der Region von 1,30. Das merkt jeder, der beispielsweise in Konstanz einkaufen geht.
Erleben wir also vor allem eine Eurostärke?
Auch das nicht unbedingt. Momentan läuft der Zins-Tango zwischen den grossen Währungsblöcken. In den USA hat sich Notenbankchefin Janet Yellen auf einen sehr moderaten Pfad der Zinserhöhung begeben. Sie achtet darauf, dass sich die Zinsdifferenz zum Euro nicht zu stark ausweitet. EZB-Präsident Mario Draghi auf der anderen Seite hat lange Zeit davon profitiert, dass er Zinserhöhungen weit in die Zukunft verschob. Mit dem Anleihenkaufprogramm hat die EZB zusätzlich den Euro geschwächt. Nun scheint der Risikoappetit der Investoren etwas zurückzukehren. Die Schweiz ist mittendrin in diesem Spiel.
Befindet sich Europa also gar nicht mehr im Krisenmodus, wie vielerorts behauptet wird?
Wir erleben momentan in Europa mehr als einen Konjunkturfrühling. Einige Länder haben jüngst positiv überrascht. Der grosse Wackelkandidat Italien scheint langsam Fuss zu fassen. Auch Frankreich erscheint als stabilerer Partner innerhalb der Währungssituation. Es sieht danach aus, als ob Europa einen anständigen Aufschwung hinlegt. Das heisst, früher oder später wird der Euro wieder zum Thema bei Investoren. Denn Mario Draghi wird die Zinsfantasien auf längere Sicht nicht zurückhalten können.
Welche Rolle spielt dabei die Schweiz?
Die drei grossen Wirtschaftsblöcke USA, Europa und China erleben einen Aufschwung, was Phantasien für höhere Zinsen weckt. Thomas Jordan hat das geschickt eingefädelt. Er hat immer betont, die Schweizerische Nationalbank halte an den Negativzinsen fest. Nun ist die Renditedifferenz tatsächlich zu gross geworden, sodass die Risikoabwägung zugunsten des Schweizer Frankens in den Hintergrund gedrängt worden ist.
Könnten denn die Länder der südlichen Euro-Zone mit steigenden Zinsen umgehen?
Viele Länder kämpfen noch immer mit einer hohen Arbeitslosigkeit. Aber der Arbeitsmarkt ist einer der letzten Märkte, die bei einem Aufschwung reagieren. Ich möchte nichts beschönigen. Aber selbst in Spanien, Portugal oder Griechenland ist eine Entspannung erkennbar. Auch die Einkaufsmanagerindizes signalisieren eine stabile Aufwärtsbewegung. Ich bin zuversichtlich, dass Europa nun einen breiteren Aufschwung hinkriegt, wo die Peripherie nicht mehr so stark abgehängt wird wie in der Vergangenheit.
Was müsste denn passieren, damit der Frankenkurs auf die von Ihnen erwähnten 1,30 steigen würde?
Eine wundersame Heilung in Europa. Konkret eine unspektakuläre Umschuldung in Griechenland ohne Finanzmarktdebakel. Dazu eine fiskalische und politische Integration innerhalb der Euro-Zone, indem Deutschland und Frankreich zusammenspannen. Daran glaubt aber niemand. Mit dem aktuellen Konstrukt der Euro-Zone ist nicht mehr viel Rückenwind für den Euro-Franken-Kurs denkbar. Der Franken wird bei kleinsten Turbulenzen gesucht bleiben. 1,30 werden wir so schnell nicht erleben.
Wie sieht Ihre Prognose für die nächsten Monate aus?
Wir haben unseren Ausblick etwas angepasst. Auf drei Monate erwarten wir Euro-Franken zwischen 1,13 und 1,15. Gegen Jahresende eventuell mit einer Annäherung an 1,18. Aber dafür muss alles so weiter laufen wie aktuell. Tauchen erneut geopolitische Turbulenzen auf, ich denke dabei zum Beispiel an ein Militärmanöver der USA mit Südkorea, kann auch die Marke von 1,10 wieder zum Thema werden.
Etwa im gleichen Ausmass wie der Euro seit Jahresbeginn aufgewertet hat, ist der Dollar zum Franken schwächer geworden. Wie beurteilen Sie die allgemeine Währungssituation für die Schweizer Wirtschaft?
Der Euro ist und bleibt das Problem Nummer eins, auch wenn wir eine leichte Entspannung erleben. Fast 60 Prozent der Schweizer Exporte gehen in die Euro-Zone. Der Dollar ist im Aussenhandel aber ebenfalls sehr wichtig, und eine Aufwertung wäre dementsprechend willkommen. Unter dem Strich ist die aktuelle Konstellation gut für die Schweiz.
Industrie und Tourismus jubeln bereits dem schwächeren Franken zu. Können diese Branchen tatsächlich aufatmen?
Ich wundere mich, woher diese Euphorie kommt. So wurden beispielsweise die Export-Halbjahreszahlen oder die Übernachtungszahlen im Juli mit der Währung in Verbindung gebracht. Die eigentliche Entlastung im Schweizer Franken ist aber erst zwei Wochen alt. Eventuell werden wir im August erste positive Auswirkungen sehen. Dennoch wird der Wechselkurs in der Schweizer Wirtschaft weiterhin Spuren hinterlassen.
Wie es ausschaut, war die SNB in jüngster Zeit kaum mit Devisenkäufen aktiv. Hat Sie das erstaunt?
Das zeigt vor allem, wie machtlos die Nationalbank in der Vergangenheit agieren musste. Früher musste sie um jeden Rappen kämpfen. Nun hat es der Markt gerichtet.
Führt das zu einem Umdenken in der SNB? Wird sie auch in Zukunft eher dem Markt vertrauen?
Dosierte Interventionen, um den Franken zu schwächen, wird es weiterhin geben. Aber aktuell ist die SNB bestimmt froh, dass sich ihre Bilanz nicht mehr im selben Ausmass aufbläht wie in der Vergangenheit. Für die Fremdwährungsreserven, von denen ein grosser Teil in Euro anfällt, ist die aktuelle Situation natürlich auch hilfreich. Die Stimmung bei der SNB war bestimmt schon schlechter.
Wäre es im derzeitigen Währungsszenario intelligent, mit dem Abbau der SNB-Bilanz zu beginnen?
Es gibt bestimmt einen Einstandspreis für das durchschnittliche Währungsexposure der SNB. Positionen werden dann abgebaut, wenn Gewinnmitnahmen möglich sind. Bei Werten, die wir momentan haben, ist das bei Euro-Franken durchaus denkbar. Realistisch ist, dass das im Rahmen einer Portfolio-Optimierung geschieht. Dass also im Gegenzug andere Fremdwährungen gekauft werden, um am Markt keine falschen Signale auszusenden.
Die SNB bringt die Negativzinsen immer mit dem starken Franken in Verbindung. Wann rechnen Sie mit einer Abschwächung oder einer Aufhebung der Strafzinsen?
Die langfristigen Schweizer Zinsen sind nahe null. In fünf oder zehn Jahren werden wir die Negativzinsen also wahrscheinlich nicht mehr haben. Die zwei- oder dreijährigen Staatsanleihen sind hingegen immer noch deutlich negativ. Mein Hauptszenario ist also: Keine Aufhebung in den nächsten zwölf Monaten. Alles andere wären 'good news'. Aktuell scheinen die Negativzinsen ein wirksames Instrument zu sein. Die SNB wird sich hüten, daran etwas zu ändern.
Martin Neff (*1960) ist seit 2013 Chefökonom von Raiffeisen Schweiz. Davor war der studierte Ökonom bei der Credit Suisse in verschiedenen Führungspositionen im Bereich Research tätig. Nach dem Studium in Konstanz und einem Abstecher zum Schweizerischen Baumeisterverband war die damalige Schweizerische Kreditanstalt (SKA) seine erste Station in der Bankenwelt.