Als französische Finanzministerin und als Chefin des Internationalen Währungsfonds hat Christine Lagarde schon zwei weltwirtschaftlich sehr einflussreiche Positionen besetzt. Nun ist die Juristin für ein noch wichtigeres Amt nominiert: Als Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB).

Die Strippenziehereien um europäische Spitzenämter hat ihr – für Nicht-Insider überraschend – die Aussicht auf die Nachfolge von EZB-Chef Mario Draghi verschafft. Interessanterweise erregt die (ebenfalls ziemlich unerwartete) Nomination der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als neue EU-Kommissionspräsidentin mehr Aufmerksamkeit. Aber dies verdeckt etwas die Sicht auf die wirklichen Machtverhältnisse.

Denn in allen seriösen Betrachtungen ist die Funktion einer Präsidentin der Europäischen Zentralbank letztlich einflussreicher als der Chefposten in der EU-Exekutive. Geldpolitik ist ein entscheidendes Instrument in der heutigen Welt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der die Nomination Lagardes auf dem Brüsseler EU-Gipfel im Hintergrund vorangetrieben hatte, pokerte am erfolgreichsten. 

Frankreich steht in der Eurozone mentalitätsmässig den Südeuropäern näher, die gelegentlich auch als «Club Méditerranée» oder «Club Méd» bezeichnet werden. Diese Länder wollen von der EZB eine lockere Geldpolitik, Anleihenkäufe und wenig Druck zu fiskalischen Reformen. Lagarde, Absolventin der Pariser Eliteschule ENA, entspricht diesen Wünschen. Eine straffere Zinspolitik und mehr Eigenverantwortung der Regierungen der Euroländer sieht sie ganz in der Tradition französischer Wirtschaftspolitik kritisch. Für Deutschland ist die Lagarde-Nomination eine Niederlage.

Weil Lagarde Politikerin war – der französischen Regierung gehörte sie unter Nicolas Sarkozy an – ist auch die Frage berechtigt, ob die Euro-Notenbank künftig noch mehr im Sinne der Politik agieren wird, als sie dies heute schon tut. Das Thema «Unabhängigkeit der Zentralbanken» könnte nochmals neu «definiert» werden.

Für die Schweizerische Nationalbank, die den Negativzins gerne los wäre, ist die Aussicht auf eine EZB-Chefin Lagarde nicht erfreulich. Denn bevor die EZB die Zinsen erhöht, wird die Nationalbank hierzulande kaum etwas am Zinsniveau ändern. Realistischerweise hätte wohl auch der Deutsche Jens Weidmann, der lange als neuer Präsident der Notenbank gehandelt wurde, die Zinsen nicht rasch erhöht. Aber als Befürworter einer strafferen Geldpolitik hätte er nicht wie Lagarde eine ideologisch geprägte Anhängerschaft zu tiefen Zinsen an den Tag gelegt.

Die Schweiz, ihre Finanzindustrie, das Vorsorgewesen und nicht zuletzt die Sparer müssen sich noch mehr auf eine lange Negativzinsphase einstellen und vielleicht gar neue Antworten auf diese Herausforderung finden. Erfreulicher ist die Nachricht möglicherweise für jene, die selbst Aktien halten und Renditen ausserhalb der klassischen Sparsysteme suchen. Aber das ist in der Schweizer Bevölkerung nach wie vor eine Minderheit.