Ob am 4. Dezember jedoch endgültig fertig ist, wird sich zeigen. Denn die EU will unter keinen Umständen für ein Scheitern der Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich verantwortlich sein und wird wohl so lange wie nötig weiterverhandeln.
Doch die Zeit drängt. Denn der 31. Dezember ist so etwas wie eine "natürliche Frist". Eine Verlängerung der bis dann geltenden Übergangsphase, in der das Königreich noch immer Teil der EU-Zollunion und des EU-Binnenmarktes ist, ist rechtlich nicht möglich.
Die beiden Unterhändler, Michel Barnier und David Frost, streiten jedenfalls weiter über Fischquoten, fairen Wettbewerb sowie Streitschlichtung, als hätten sie alle Zeit der Welt.
Schweiz: Offene Fragen beim Handel
Die Schweiz ist dank mehrerer Abkommen mit dem Vereinigten Königreich so gut wie möglich auf den definitiven Brexit vorbereitet - auch auf einen ohne Vertrag zwischen der EU und Grossbritannien.
So schlossen Bern und London Abkommen in den Bereichen Strassen- und Luftverkehr, Versicherung, Migration sowie Handel. Doch bei letzterem konnten sie nicht ganz alles regeln.
Denn die Schweiz hat einige Vorschriften mit jenen der EU harmonisiert, unter anderem im Bereich Landwirtschaft und bei den technischen Handelshemmnissen. Daher können die beiden Hauptstädte die letzten verbleibenden Lücken erst schliessen, wenn das Verhältnis EU-Grossbritannien geklärt ist.
Schweiz: teurerer Warenhandel
Ausserdem würde sich ohne ein Freihandelsabkommen EU-Grossbritannien auch der Warenhandel zwischen der Schweiz und Grossbritannien verteuern - trotz eines Handelsabkommens der beiden Nicht-EU-Staaten.
Denn oftmals enthalten in der Schweiz hergestellte Produkte auch Teile aus dem Ausland. In Freihandelsabkommen bestimmen dann so genannten Ursprungsregeln, vereinfacht gesagt, die "Nationalität" von Waren: Ob ein Produkt also als schweizerisch gilt, obwohl "ausländische" Elemente enthalten sind. Nur Produkte, welche die "Nationalität" der Vertragspartner haben, profitieren von Zollerleichterungen.
Nun sind die Schweiz und die EU mit anderen Staaten in einer Paneuropa-Mittelmeer-Zone zusammengeschlossen - einem Netzwerk aus Freihandelsabkommen mit gleichlautenden Ursprungsregeln. Das vereinfacht den Handel. Ohne Abkommen mit der EU fliegt das Vereinigte Königreich jedoch aus dieser Zone raus, mit negativen Folgen für den Freihandel.
Gespannter Blick nach Brüssel
Bern dürfte also gespannt nach Brüssel schauen, ob nur gut vier Wochen vor dem definitiven EU-Austritts Grossbritanniens doch noch ein Abkommen mit Brüssel gelingt.
Wahrscheinlich ist es aber sowieso schon zu spät dafür, dass ein ab dem 1. Januar 2021 gültiges Handelsabkommen EU-Grossbritannien auf EU-Seite nach ordentlichem Verfahren ratifiziert werden kann.
Denn ist der Vertrag dereinst ausgehandelt, muss er nochmals rechtlich geprüft und dann in alle 23 offiziellen EU-Sprachen übersetzt werden - so besagen es die Regeln. Ausserdem muss das Abkommen nicht nur von den EU-Staaten gutgeheissen werden, sondern auch vom EU-Parlament, das am 17. Dezember zum letzten Mal in diesem Jahr tagt.
EU-Diplomaten gehen nun davon aus, dass das Abkommen ohne die nötigen Übersetzungen ratifiziert werden muss. Ausserdem hat das EU-Parlament Bereitschaft signalisiert, am 28. Dezember eine Sondersitzung einzuberufen, um seinen Beitrag zu leisten.
Provisorisches Abkommen möglich
Manche EU-Diplomaten halten es gar für möglich, dass bis zum 31. Dezember verhandelt wird, und das Abkommen am 1. Januar lediglich provisorisch in Kraft gesetzt wird. Dies sei theoretisch möglich, sagte eine EU-Diplomatin der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Sie gab jedoch zu bedenken, dass solange das Abkommen nur provisorisch in Kraft ist, es rechtlich nicht bindend sei und damit keine Rechtssicherheit biete. Dabei verwies die Diplomatin auf das vom britischen Premierminister Boris Johnson im September ins Spiel gebrachte Binnenmarkt-Gesetz, mit dem er die mit der EU vereinbarten Zollkontrollen zwischen Grossbritannien und Nordirland auszuhebeln versucht.
Wenn London schon so mit rechtlich bindenden Abkommen umgehe, so die Diplomatin, könne man sich ja ausmalen, was die Risiken bei einem Abkommen sein könnten, das nur provisorisch in Kraft ist.
(AWP)