Es ist gut möglich, dass Leu die Phase der Sondierungsgespräche noch weitgehend abschiessen wird. Damals, als Livia Leu Staatssekretärin wurde, kursierte auch der Name von Alexandre Fasel, dem Ex-Botschafter in London. Ob sich ein Wechsel an der Spitze des Staatssekretariats zum jetzigen Zeitpunkt positiv auf die Gespräche mit der EU auswirken wird oder nicht, muss sich zeigen.

Bekannt ist jedenfalls, dass die Staatssekretärin und Aussenminister Ignazio Cassis gewisse Differenzen hatten. Zudem heisst es, die nur zögerlichen Fortschritte bei den Sondierungsgesprächen mit der EU lägen auch an Leu selbst, die eigene Vorstellungen von einer möglichen Lösung mit der EU habe. Zudem trat sie den Job ohne EU-Erfahrungen an.

Anders ihr Vorgänger Roberto Balzaretti: Er konnte auf fundierte Erfahrungen in der Beziehung Schweiz-EU zurückblicken. Bevor er Chefunterhändler wurde, war der Tessiner EU-Botschafter in Brüssel. Doch Dosierkenntnisse alleine reichen nicht aus.

Unterstützung des Bundesrates fehlte

Zwar führte Balzaretti im Dezember 2018 die Verhandlungen zum institutionellen Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU zu einem vorläufigen Ende - es blieben aber drei umstrittene Punkte offen: der Lohnschutz, die staatlichen Beihilfen und die Unionsbürgerrichtlinie.

Diese Punkte konnten jedoch auf diplomatischer Ebene nicht gelöst werden, sodass hier die Politik - sprich der Bundesrat - hätte das Ruder in die Hand nehmen sollen, um eine Lösung mit der EU zu finden.

Doch dazu war die Landesregierung nicht bereit - vor allem aus innenpolitischen Gründen. Denn sowohl die Gewerkschaften wie auch die SVP opponierten aus unterschiedlichen Gründen gegen den Abkommensentwurf.

Aussenminister Ignazio Cassis liess daher Balzaretti das Verhandlungsergebnis verteidigen - ohne Rückhalt des Gesamtbundesrates, was dem Tessiner Kritik von allen Seiten einbrachte. Balzaretti wurde zum Sündenbock und war dadurch nicht mehr tragbar. Schliesslich wurde er als Botschafter nach Paris versetzt.

Wohl immer noch keine Priorität

Unabhängig von der Personalie: Der neue Unterhändler oder die neue Unterhändlerin braucht dringend die volle Unterstützung des Bundesrates. Weder Balzaretti noch Leu hatten diese. Früheren Diplomaten fehlte im EU-Dossier ebenfalls der bundesrätliche Rückhalt: etwa Yves Rossier und Jacques de Watteville. Und Pascale Baeriswil zeichnete kaum ein Jahr Verantwortung für das Dossier.

Doch auch aktuell scheinen Verhandlungen mit der EU beim Bundesrat keine hohe Priorität zu geniessen. Während Maros Sefcovic, Vizepräsident der EU-Kommission, bei seinem Schweiz-Besuch im März hohe Ambitionen zeigte, die Verhandlungen bis Sommer 2024 abzuschliessen, kündigte der Bundesrat kurz darauf lediglich an, bis Ende Juni "Eckwerte" eines Verhandlungsmandates zu präsentieren. Wäre es ihm wichtig, würde er ein schnelleres Tempo anschlagen.

In der Zwischenzeit erodieren die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU weiter - dies weil letztere kaum noch Abkommen mit der Schweiz aktualisieren will, solange die institutionellen Fragen nicht gelöst sind. Als nächstes - Ende Mai - ist es die Maschinenindustrie, die das zu spüren bekommen wird.

mk/

(AWP)