Die EZB solle staatliche Schuldtitel in Höhe von insgesamt 2,5 Billionen Euro abschreiben, hiess es in einem am Freitag in mehreren europäischen Medien veröffentlichten Schreiben. Die Staaten sollten stattdessen Mittel in gleicher Höhe in den ökologischen Umbau der Wirtschaft und soziale Projekte stecken.

"25 Prozent unserer Schulden schulden wir mit anderen Worten uns selbst, und wenn wir diesen Betrag zurückerstatten wollen, müssen wir dieses Geld woanders finden", schrieben die Autoren in dem Text, der unter anderem von der Wochenzeitschrift "Der Freitag" veröffentlicht wurde. Alternativen zu einem Schuldenerlass seien neue Kredite im Rahmen einer Umschuldung, Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen. Zu den Unterzeichnern gehört unter anderem der bekannte französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty.

Nur politischer Wille nötig

Der Schuldenschnitt wäre den Forschern zufolge auch ein massives Konjunkturpaket für Europa nach der Coronavirus-Krise. Die Autoren betonten, dass es für den von ihnen vorgeschlagenen Schuldenerlass keine rechtlichen Hindernisse gebe. Vielmehr sei er eine Frage des politischen Willens.

EZB-Vizepräsident Luis de Guindos äusserte sich am Freitag abe kritisch zu dem Vorschlag. Ein Schuldenerlass hätte negative Folgen für "Reputation, Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit" der Notenbank.

Die Europäische Zentralbank (EZB) muss sich zudem aus Sicht von Finnlands Notenbank-Chef Olli Rehn vielmehr auf eine längere Phase niedriger Inflationsraten einstellen. Daher benötige sie ein verständlicheres und mehr glaubwürdiges Preisstabilitätsziel, sagte das EZB-Ratsmitglied am Freitag auf einer Online-Konferenz. Das aktuelle Ziel von unter, aber nahe zwei Prozent Teuerung sei mehrdeutig. "Im gegenwärtigen Umfeld einer chronisch niedrigen Inflation beeinträchtigt diese Mehrdeutigkeit die Effektivität der Geldpolitik", warnte er.

Viel Interpretationsspielraum

Die EZB verfehlt ihr Teuerungsziel bereits seit rund acht Jahren. Dessen Überarbeitung ist ein Hauptpunkt in der aktuell laufenden Strategieüberprüfung der Euro-Notenbank.

Rehn zufolge verleitet das derzeitige Ziel zu der Interpretation, die EZB würde sich mehr um eine zu hohe als um eine zu niedrige Inflation sorgen. "Es ist entscheidend, dass wir sicherstellen, dass das Inflationsziel von der Öffentlichkeit als ein symmetrisches verstanden wird", betonte er. Der Notenbanker plädierte zudem dafür, für einen gewissen Zeitraum ein Überschiessen des Inflationsziels zuzulassen, um frühere Zeiten mit zu niedriger Teuerung auszugleichen. Rehn sprach sich dafür aus, die EZB-Strategie künftig alle fünf Jahre auf den Prüfstand zu stellen. "Das würde uns ermöglichen, die Auswirkungen zentraler struktureller Entwicklungen in unserem Arbeitsumfeld zu anzuerkennen", sagte er.

(AWP)