Fast ist man versucht zu fragen: Erinnern Sie sich noch an Jack Ma? Lange Zeit reichster Mann Chinas, Gründer und langjähriger CEO des Tech-Giganten Alibaba und einer, der dem grossen Auftritt durchaus nicht abgeneigt war. Jack Ma ist seit acht Monaten weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden. Es gab nur wenige vorsichtig inszenierte Auftritte in seinem Heimatland. Ansonsten: Funkstille. 

Wang Xing, ebenfalls mehrfacher Milliardär, ist Chef von Meituan, weltgrösster Essenslieferdienst, 569 Millionen Kunden in 2800 Städten. Vorletzten Monat postete er ein 1100 Jahre altes chinesisches Gedicht, es wurde von einigen Leuten als implizite Kritik an Chinas Regierung interpretiert. Gut unterrichteten Quellen zufolge legte man Xing nahe, künftig weniger Aufmerksamkeit zu erregen. Seither ist es um Xing ebenfalls ruhig geworden.

Auch Elon Musk spürt in China das Piesacken der Obrigkeit. Im Mai kursierten in den Sozialen Medien Chinas gezielt gestreute Berichte über schwerwiegende Bremsprobleme bei den Teslas. Es gab keine Anhaltspunkte für die Wahrheit der Spekulationen. Folge: Viele Tesla-Besitzer verkauften ihre Autos. Teslas dürfen auch nicht mehr auf den Grundstücken von Chinas Regierungsstellen parkieren – Behörden befürchten, so der Grund, den Transfer von gesammelten Daten durch Teslas in die USA.

Musk kann in China natürlich nicht zum Schweigen gebracht werden wie Ma oder Xing. Einschneidender als die Maulkörbe für Chinas Tech-Milliardäre sind aber die Auswirkungen der Regierungs-Repression auf das Geschäft. Jack Ma musste nach seinem Auftritt vor acht Monaten an einem Kongress in Shanghai, an dem er das Finanzsystem Chinas unverhohlen kritisierte, den Börsengang der Alibaba-Tochtergesellschaft Ant Group absagen. Es hätte der weltweit grösste werden sollen. Seither hat die Aktie von Alibaba 34 Prozent an Wert verloren, eine Bodenbildung ist nicht erkennbar.

Mas Auftritt im Herbst 2020 vor geschockten Regierungsvertretern stellt in der Tat eine Zäsur da. Seither ergreift Peking beinahe im Wochentakt Massnahmen, um die Macht der heimischen Technologiefirmen zu brechen. Jüngstes Beispiel: Neue Direktiven Chinas liessen die Aktien des chinesischen Fahrdienstleisters Didi in New York Tage nach dem verheissungsvollen IPO vor zwei Wochen um 30 Prozent einbrechen. Das sitzt. Nun erwägen andere chinesische Firmen, so das Lieferunternehmen Lalamove, die Verlegung des geplanten US-Börsengangs nach Hongkong.

Klar: Mit dieser Strategie kann China gewisse Kapitalströme ins eigene Land leiten und den IPO-Markt in den USA empfindlich treffen. Chinesische Firmen machen immerhin 4 Prozent des 50-Billionen-Dollar schweren US-Aktienmarktes aus. Und es ist eine Antwort an die USA wegen des massiven Drucks, den bereits die Regierung Trump auf chinesische Tech-Konzerne wie Huawei aufgebaut hatte.

Aber warum nimmt China in Kauf, dass mit dem "Crackdown" gegen eigene Firmen Milliarden Dollar Börsenwert vernichtet werden? Warum duldet China, dass das internationale Investorenvertrauen wegen der staatlichen Eingriffe massiv beschädigt wird und weniger ausländische Geldströme in künftige Alibabas fliessen?

Die Antwort: Es geht um mehr als um die Finanzen, sondern um ein viel wertvolleres Gut: Big Data. Will heissen: Die Kontrolle der immensen Datenberge, welche gerade die chinesischen Tech-Giganten mit ihrer Plattform-Wirtschaft in den letzten Jahren angesammelt haben. Chinas Firmen müssen bei Börsengängen im Ausland, wie in den USA, gleichzeitig immer transparenter werden. Das ist nicht im Sinn eines politisch-ökonomischen Systems, das Transparenz als Grundwert ausschliesst.

Schliesslich geht es geht auch um Technologie, genauer um eine Vorherrschaft bei der Entwicklung von Computerchips. Dies mit dem Trend zum Security-Wahn der Supermächte könnte in Zukunft weitere Störungen von weltweiten Lieferketten zur Folge haben. Zudem steigt tendenziell der Druck auf die Staaten, sich für eine Supermacht entscheiden zu müssen. Ganz zu schweigen von einer Zweiteilung der Finanzmärkte, die eine solche Polarisierung mit sich brächte. Es wäre die Abkehr von der Idee, die einst mit dem Motto "Liberalisierung der Märkte" begann.

Ein Extrem-Szenario? Vielleicht. Aber kein unwahrscheinliches. Vor diesem Hintergrund erscheinen Tech-Milliardäre Musk, Ma und Xing plötzlich ganz klein. Sie wirken wie Puppen im Spiel der Supermächte um eine neue Wirtschaftsordnung.