cash: Frau Nagy, was erwarten Sie von der osteuropäischen Wirtschaft im laufenden Jahr?
Piroska Nagy: Osteuropa als Region, also zum Beispiel Polen, Tschechien oder die baltischen Staaten, hat ein ordentliches Jahr vor sich. Dies in erster Linie, weil die Länder Rohstoffimporteure sind und somit von den tiefen Preisen des Öls und anderer Rohstoffe profitieren. Dadurch werden die Volkswirtschaften zwischen ein und zwei Prozent zusätzlich wachsen. Zudem konnten viele Länder die einheimische Nachfrage stärken. Die Arbeitslosigkeit ist zwar vielerorts noch hoch, beginnt sich aber zu reduzieren.
Um welches osteuropäische Land sorgen Sie sich derzeit am meisten?
Kroatien tut sich immer noch schwer damit, Strukturreformen durchzuführen. Zudem ist noch keine deutliche Verbesserung durch die EU-Mitgliedschaft sichtbar, wie es in Ungarn oder Polen der Fall war. Serbien hat ebenfalls ein schwieriges Jahr hinter sich. Vor allem aufgrund der schweren Flutschäden. Und Bulgarien wächst vergleichsweise langsam. Die Gründe dort sind politische Unsicherheit und Unruhe im Bankensektor.
Für Russland erwarten Sie ein negatives Wachstum von fünf Prozent. Wie nahe am Kollaps ist dieses Land?
Russland steht vor einer grossen Rezession, nach einem Jahr in dem das Land kaum vom Fleck kam. Der Fall des Ölpreises lastet enorm auf der Wirtschaft, die bereits unter strukturellen Problemen, tiefem Investorenvertrauen und den westlichen Sanktionen leidet. Russische Unternehmen haben praktischen keinen Zugang zu ausländischen Kapitalmärkten. Wenn Russland also Schulden bezahlen muss, werden die Reserven angezapft.
Welche westlichen Staaten leiden besonders unter der russischen Schwäche?
Generell schätze ich die Auswirkungen nicht allzu gross ein. Die Exporte aus Deutschland, Frankreich, Italien oder Österreich nach Russland haben zwar deutlich abgenommen. Aber wirklich substanziell ist das nicht.
Viele osteuropäische Gläubiger halten Hypotheken in Schweizer Franken und kommen nun unter Druck. War Ihnen dieses Problem bewusst?
Wir kennen das Problem, dass private Schuldner das Einkommen nicht haben, um ihre Kredite in Fremdwährungen zu bedienen. Das ist in vielen europäischen Schwellenländern der Fall. Durch die Aufnahme in die Euro-Zone konnten Länder wie die Slowakei dieses Problem lösen. Aber mit dem Schweizer Franken ist das nicht möglich. Hier haben die Banken und die Regulatoren versagt. Ich glaube nicht, dass das zum systemischen Problem wird, aber es lastet auf den Bilanzen der Banken.
Wo in Osteuropa sehen Sie interessante Investmentmöglichkeiten?
Wie gesagt, wir sind zuversichtlich für die Region als ganzes. Polen, Rumänien oder Ungarn zeigen stabiles Wachstum. Zusätzlich kommt diesen Ländern der Strukturfonds der EU und die verbesserte Inlandnachfrage zugute. Strukturelle Reformen würden noch für zusätzliche Unterstützung sorgen. Zum Beispiel im Arbeitsmarkt oder bei Privatisierungen.
Lohnen sich die dortigen Börsen für Anleger?
Definitiv. Der polnische Aktienmarkt ist ein Leader in der Region und hat in gewissen Bereichen sogar die Wiener Börse überholt. Die ungarische oder die rumänische Börse sind zwar kleiner aber ebenfalls bedeutend. Es gibt auch ein Projekt, die kleinen Handelsplätze der westlichen Balkanländer zu verbinden. Das unterstützen wir. Nicht zu vergessen: Im Westbalkan sind einige Länder auf dem Weg zu einer EU-Mitgliedschaft.
Piroska Nagy ist Ökonomin bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, zuständig für Länderstrategie und Politik. Aufgabe der 1991 gegründeten Bank ist es, die ehemaligen Ostblockstaaten in ihrem Transformationsprozess zu unterstützen. Nach Studien an den Universitäten von Budapest und Washington war sie unter anderem für den Internationalen Währungsfonds tätig.