Die Abstimmung finde zwischen 18.00 und 20.00 Uhr Ortszeit (19.00 bis 21.00 Uhr MESZ) statt, teilte Graham Brady, der Vorsitzende des mächtigen Parteikomitees 1922, am Montagmorgen mit. Einzelheiten müssten noch geklärt werden. Johnsons Büro teilt mit, die Abstimmung sei eine Chance, die Spekulationen zu beenden, einen Strich zu ziehen und weiterzuarbeiten. Johnson steht seit längerem unter Druck wegen Verstössen gegen strikte Kontaktbeschränkungen zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie. Er hatte bereits mehrfach dafür um Entschuldigung gebeten, einen Rücktritt jedoch abgelehnt.
Die Schwelle von 15 Prozent der Fraktion, die ein Vertrauensvotum für den Vorsitzenden der Konservativen Partei anstreben, sei überschritten worden, erklärte Brady. Das bedeutet, dass mindestens 54 Konservative das Votum beim Parteikomitee 1922 schriftlich beantragen müssen. Die Anträge sind vertraulich. Brady teilte weiter mit, die Stimmen würden unmittelbar nach dem Votum ausgezählt. Wann das Ergebnis bekanntgegeben werde, werde noch mitgeteilt.
Um Johnson abzusetzen, müsste die Mehrheit der konservativen Abgeordneten, also mindestens 180, ihm das Misstrauen aussprechen. Einige konservative Politiker halten es für schwierig, dass diese Mehrheit erreicht wird.
«Chance auf Beendigung der monatelangen Spekulationen»
"Heute Abend ist eine Chance, monatelange Spekulationen zu beenden und der Regierung zu erlauben, eine Grenze zu ziehen und weiterzumachen", heisst in der Erklärung von Johnsons Büro. "Der Premierminister begrüsst die Gelegenheit, den Abgeordneten seinen Fall vorzutragen." Er werde sie daran erinnern, dass es keine beeindruckendere politische Kraft gebe als sie, wenn sie vereint seien und sich auf die Belange der Wählerinnen und Wähler konzentrierten.
Aussenministerin Liz Truss und Finanzminister Rishi Sunak sicherten Johnson, der seit 2019 die Regierung führt, ihre Unterstützung in dem Misstrauensvotum zu. "Der Premierminister hat meine 100-prozentige Unterstützung bei der heutigen Abstimmung, und ich ermutige die Kollegen nachdrücklich, ihn zu unterstützen", schrieb Truss auf Twitter. Sie verwies darauf, dass Johnson die Erholung des Landes von der Corona-Pandemie erreicht habe und die Ukraine angesichts der russischen Aggression unterstütze. "Er hat sich für die gemachten Fehler entschuldigt. Wir müssen uns jetzt auf das Wirtschaftswachstum konzentrieren." Truss gilt als mögliche Nachfolgerin Johnsons.
Dutzende konservative Abgeordnete haben in jüngster Vergangenheit ihre Besorgnis geäussert, der 57-jährige Johnson könnte die Autorität verloren haben, um Grossbritannien zu regieren. Zuletzt hatte Jesse Norman, der von 2019 bis 2021 Staatssekretär im Finanzministerium war, öffentlich ein Misstrauensvotum verlangt.
Hintergrund sind Partys in Downing Street mitten im Lockdown
Im sogenannten Partygate-Skandal geht es um exzessive Feiern in Johnsons Amtssitz mitten im Corona-Lockdown. Aus einem unlängst vorgelegten Bericht der Spitzenbeamtin Sue Gray geht hervor, dass viele Partys in 10 Downing Street geplant wurden, einschliesslich Absprachen darüber, wer den Alkohol mitbringt. Bei einer Party im Juni 2020 sei es zu übermässigem Alkoholkonsum gekommen, hiess es in dem Bericht. Eine Person sei dabei krank geworden, zwei weitere hätten sich heftig gestritten. Bei einer anderen Party in der Nacht vor der Beerdigung von Prinz Philip sei bis in die Morgenstunden gefeiert worden. Auf zahlreichen Fotos sind die Partys dokumentiert, auch Johnson ist mehrfach abgebildet.
(Reuters)