Im Kampf gegen die ausufernde Inflation will die EZB klare Kante zeigen. Doch wenn der Preis des Geldes steigt, wird die Kapitalbeschaffung für ohnehin hoch verschuldete Staaten wie Italien und Griechenland teurer. Die Risikozuschläge auf ihre Anleihen sind bereits gestiegen und haben die EZB in Alarmbereitschaft versetzt. Ein neues Instrument soll dafür sorgen, dass die Renditeunterschiede nicht aus dem Ruder laufen.

Nun ist ein Richtungsstreit darüber entbrannt, wie das Programm ausgestaltet werden soll. Der deutsche Bundesbankchef Joachim Nagel warnt zur Vorsicht, mit geldpolitischen Instrumenten Risikoprämien begrenzen zu wollen. EZB-Vize Luis de Guindos plädiert hingegen dafür, gegen ein unerwünschtes Auseinanderdriften der Renditen vorzugehen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) spricht in diesem Zusammenhang von einem Werkzeug gegen eine "Fragmentierung" im Euro-Raum. Wie Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer erläutert, versteht sie darunter eine Situation, in der die Renditeaufschläge - im Finanzjargon "Spreads" genannt - der Anleihen stark verschuldeter Mitgliedsländer gegenüber Bundesanleihen deutlich höher sind, als es mit Blick auf Fundamentaldaten angemessen ist. Das Zinsniveau wäre dann in diesen Ländern zu hoch, und die EZB-Geldpolitik würde nicht mehr in allen Mitgliedsländern gleich wirken. "Aber es ist fraglich, ob sich fundamental angemessene Renditeaufschläge einzelner Länder gegenüber Bundesanleihen überhaupt mit hinreichender Zuverlässigkeit berechnen lassen", so Krämer.

Solche Bedenken machte nun auch Nagel öffentlich. Es sei in Echtzeit so gut wie unmöglich, sicher festzustellen, ob eine Spread-Ausweitung fundamental gerechtfertigt sei. Hier gerate man schnell "in gefährliches Fahrwasser", warnte Nagel auf einer Finanzkonferenz. Nur in Ausnahmesituationen und unter eng gesteckten Bedingungen liessen sich ungewöhnliche geldpolitische Massnahmen gegen Fragmentierung rechtfertigen. Aus Sicht von EZB-Vize de Guindos ist es hingegen gerade jetzt, wo die EZB auf einen Zinserhöhungskurs umschwenkt, entscheidend, dass die Renditeunterschiede zwischen den Euro-Ländern nicht aus dem Ruder laufen. Ein Eingreifen der Notenbank sei dann gefordert.

Alte Konfliktlinien

Mit der Debatte über das neue Instrument brechen nach Einschätzung des Chefökonoms der ING Bank, Carsten Brzeski, alte Konfliktlinien wieder auf, die unter Nagels Vorgängern bei der Bundesbank, Axel Weber und Jens Weidmann, immer wieder für Kontroversen im EZB-Rat sorgten. Als Verfechter ordnungspolitischer Prinzipien hatten sie häufig mahnend den Zeigefinger erhoben. Vor allem auf dem Höhepunkt der Euro-Krise 2012, als entschiedenes Handeln gefragt war, sorgte diese Haltung für viel Zündstoff im EZB-Rat. "Die Nagel-Rede erinnert ein wenig an die Rückkehr der deutschen Position der Jahre 2010 - 2012: Strenge Konditionalität, alle Länder sollten ihre Hausaufgaben selber machen." Jetzt, wo wieder eine unkonventionelle geldpolitische Massnahme im Gespräch sei, kämen diese Konflikte wieder zum Vorschein.

Brzeski verweist darauf, dass die EZB das neue Instrument erst nach ihrer Sondersitzung am 15. Juni angekündigt hat - und nicht schon sechs Tage vorher auf der regulären Zinssitzung. "Das ist auch ein Zeichen dafür, dass man sich im EZB-Rat nicht einig war," meint der Ökonom. Viele Experten gehen davon aus, dass die Währungshüter sich nicht auf eine Ausgestaltung werden verständigen können, die für stark verschuldete Länder wie Italien besonders durchschlagend sein wird.

DZ-Bank-Analyst Sebastian Fellechner zufolge gibt es viele Optionen für das Design des Programms. "Diese reichen von einer höheren Flexibilität bei den PEPP-Reinvestitionen zugunsten von Peripherie-Anleihen bis hin zu einem aktiven Kauf von Peripherie-Anleihen", meint der Experte, wobei er das abgelaufene Pandemie-Kaufprogramm PEPP im Blick hat. Voraussetzung dafür wäre der Verkauf von Bonds aus dem Kernsegment. Dazu zählen insbesondere Bundesanleihen, die in der Währungsunion als der Goldstandard gelten.

Hohe Erwartungen

Experten gehen zudem davon aus, dass das neue Instrument an eher weiche Bedingungen geknüpft sein wird. ING-Ökonom Brzeski erwartet, dass die EZB nach ihrer nächsten Zinssitzung am 21. Juli nicht alle Details nennen wird. Nähere Erklärungen dazu, ab welcher Ausweitung der Spreads ein Eingreifen als notwendig erachtet wird, erwartet er nicht. "Es wird ein Instrument werden, das von der Konditionalität eher schwach sein wird, es wird aber auch vom Volumen her eher schwach werden," glaubt der Ökonom. Die Spekulationen um die Ausgestaltung des Werkzeugs waren in den vergangenen Wochen an den Finanzmärkten ins Kraut geschossen. "Die Erwartungen an das neue Instrument sind hoch. Dies birgt für den Markt Enttäuschungspotenzial", meint DZ-Bank-Analyst Fellechner.

Die Grauzone hinsichtlich der fundamental angemessenen Renditeaufschläge bleibt ein Einfallstor für Kritik. Laut Commerzbank-Chefökonom Krämer schafft gerade die Unsicherheit über die Höhe der gerechtfertigten Renditeaufschläge Spielräume, diese niedrig anzusetzen, um den hoch verschuldeten Staaten etwa durch den Kauf ihrer Anleihen leichter zu helfen. Seine Kritik: "Aber eine solche Vollkaskoversicherung schafft nicht nur in Ländern wie Italien Anreize für einen grossen Staat, was die Produktivität und das Wirtschaftswachstum senkt."

(Reuters)