cash.ch: Herr Quest, im letzten Jahr bei unserem Interview sahen Sie die Welt in einem schrecklichen Zustand. Mittlerweile haben wir einige Krisen und Minikrisen gesehen. Wie ist Ihr Blick auf die Welt heute?

Richard Quest: Der ehemalige britische Premierminister Harold Macmillan äusserte ja einmal den berühmten Satz: 'Events, dear Boy, Events'. Was ich damit sagen will: Es gibt jedes Jahr eine gewisse Anzahl Erdbeben, Kriege, Auseinandersetzungen und so weiter. Wir müssen die Ereignisse beobachten, die systemisch oder bedeutend sind und welche sich künftig noch verschlechtern. Das sind heute die Entwicklungen bei Umwelt und Ökologie. Hier sind die Abwärtsrisiken höher als alles andere.

Das ist eine langfristige Sicht. Die kurz- und mittelfristige?

Die Lage 2020 ist höchst unsicher. Das hat einen Grund: Die US-Präsidentschaftswahlen. Es ist schon ein wenig lächerlich, dass das ganze Jahr durch einen Event im November geprägt sein wird. Ich glaube aber auch, dass die USA und China mit ihren Verhandlungen weitere Fortschritte machen werden. Auf der anderen Seite rückt Europa in den Fokus des Präsidenten mit Steuerauflagen. Nicht vergessen dürfen wir, ganz wichtig, das weiterhin bestehende Tiefzinsumfeld mit gleichzeitig tiefer Arbeitslosigkeit und kaum vorhandener Lohninflation. Zentralbanken stehen vor einem Rätsel: Wie soll die Inflation wieder steigen?

Kommen wir jemals wieder aus dieser ultralockeren Geldpolitik heraus?

Das wissen wir nicht. Weil wir niemals gedacht hätten, dass wir uns in einer derartigen Situation wiederfinden würden. Schauen Sie sich die Entwicklung in den USA an. Die Zinserhöhungen mussten bald wieder rückgängig gemacht werden. Wir befinden uns also in einem langsam wachsenden Wirtschaftumfeld, in dem jegliche Zinserhöhungen verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft haben.

Japanische Zustände...

Genau. Eine Japanifizierung.

Nochmals zu den US-Wahlen. Trump hat die Wahl doch schon auf sicher, oder?

Wie kommen Sie darauf?

Weil es die Demokraten nicht schaffen, einen populären und wählbaren Kandidaten aufzustellen.

Tatsache ist: Der Amtsinhaber hat sicher einen markanten Vorteil. Die Opposition braucht einen starken Kandidaten. Das waren zum Beispiel Bill Clinton, der Bush 1992 ablöste, oder Ronald Reagan. Ein starker Kandidat der Opposition - das scheint nun tatsächlich nicht der Fall zu sein, aber warten wir ab. Wir dürfen jedoch nicht vergessen: Donald Trump gewann die Wahl wegen etwa 100’000 Stimmen Unterschied, die er in einigen Schlüsselstaaten erzielte. Das war äusserst knapp. Wenn die Demokraten in diesen Schlüsselstaaten nur ein bisschen Boden gut machen, dann werden sie die Wahl gewinnen.

Sie sind Brite. Premier Boris Johnson schwärmte immer von einem 'Britzerland', eine Art Schweizer Lösung für Grossbritanien nach dem Brexit. Macht er sich da falsche Vorstellungen?

Die Schweiz hat ja all die bilateralen Verträge mit der EU. Aber die EU wird mit Euch nicht mehr neu verhandeln. Sie sagte klar: Dies oder nichts, 'take it or leave it'. Die Schweiz ist in einer unkomfortablen Situation, weil die EU sich nicht um die Schweiz kümmern muss. Aber das funktioniert nicht mit Grossbritannien. Premier Boris Johnson hat vom Unterhaus eine derart hohe Mehrheit erhalten, dass er im Parlament alles durchbringen kann, was immer er will.

Befindet sich Grossbritannien tatsächlich in einer derart guten Ausgangsposition, wie Johnson die Leuten glauben lässt?

(überlegt) Ich glaube, die Leute wollten nach der langen Zeit den Brexit einfach hinter sich bringen und umgesetzt haben. Uns steht nun fast ein Jahr mit Verhandlungen bevor. Wir werden sehen, wie es herauskommt.

Waren Sie persönlich eigentlich für oder gegen den Brexit?

Darüber rede ich nicht. Warum? Als Journalist muss ich beiden Lagern Fragen stellen. Wenn die Leute wissen, welche Haltung ich habe, werden Interviews ungemein schwierig. Nur soviel zum Brexit: Ich glaube nicht, dass der Brexit nicht annähernd zu einer derartigen Katastrophe wird, wie alle behaupten. Die Lichter werden am 1. Januar 2021 nicht ausgehen.

CNN-Kultmoderator Richard Quest (rechts) mit cash-Chefredaktor Daniel Hügli am WEF 2020.

Sie sind zum 19. Mal am WEF. Wie charakterisieren Sie die Forumsteilnehmer?

Sie sind anders. Man kann die Leute in zwei Gruppen aufteilen: Vertreter aus Private Equity, Technologie, Joint Ventures, viele Investoren. In die andere Gruppe fallen Leute, die soziale Themen verfolgen. Gesundheit, Frauengesundheit, Wasser, Diversifikation und so weiter. Zum Glück vermischen sich die Gruppen in Davos und passen zueinander. Was wir dieses Jahr kaum finden, sind die grossen makroökonomischen Themen. Klar, es sind viele Finanzminister hier, aber die sind sekundär. Die Zentralbanker sind auch anwesend, aber das spielt keine grosse Rolle. Es gibt kein brennendes ökonomisches Thema derzeit.

Ist es nicht ein wenig peinlich für uns ältere Leute, dass uns junge Menschen wie Greta Thunberg Beine machen müssen in Sachen Umweltschutz und Klimawandel?

Nein, das war doch schon immer so. Bei Vietnam haben die Youngsters protestiert, bei der Kampagne für nukleare Abrüstung waren die Jungen ebenfalls auf der Strasse. Das liegt irgendwie in der Natur der Sache. Ich habe Gretas Davos-Rede gelesen und viele Firmenchefs mit Gretas Argumenten konfrontiert. Für die Chefs - und keiner davon ist ein Idiot - waren Gretas Punkte zwar alle nachvollziehbar. Aber sie sagen auch: Wenn wir Gretas Punkte umsetzen, dann müssten wir alle unsere Fabriken schliessen. Der meiner Meinung nach wesentliche Punkt bei Gretas Programm ist: Wir müssen unsere Klima - und Umweltziele umsetzen. Und das tun wir nicht.

Wir müssen noch über Donald Trump sprechen. Seine Rede hier in Davos war schon sehr extrem 'me, myself and I'.

Sie scheinen überrascht zu sein darüber. Man hätte vielleicht hoffen können, dass er eine politikbezogene, strategisch geprägte Rede hält. Aber eine solche hielt er weder bei seinem Amtsantritt noch vor zwei Jahren hier in Davos. Seine Rede am Dienstag war eine Litanei über seine wirtschaftlichen Erfolge, gespickt mit ein paar Bemerkungen über seine politischen Gegner in den USA. Und er richtete sich, auch in den Pressekonferenzen, immer wieder an den Arbeiter und die Arbeiterin. Trumps Message ist: Ich halte Euch den Rücken frei. Das ist sehr wuchtig.

Haben Sie Trump vor seiner Präsidentschaft persönlich getroffen?

Verschiedene Male, aber das ist lange her. Man muss sehen: Trump war nie Teil des Davoser Volkes. Er war nie Teil der akzeptierten New Yorker Elite, des Geldadels. Er war immer der Schläger von der anderen Flusseite, der sich beweisen musste. Trump hat noch immer diesen Minderwertigkeitskomplex. Aber den haben wir vielleicht alle, ein Leben lang.

Ich weiss, Sie geben nicht gerne Einschätzungen zur Börsenlage…

Geben Sie nicht auf!

Also: Ihr Outlook für das Börsenjahr 2020?

Es sind viele Unsicherheiten wie der Handelsstreit oder Brexit aus dem Markt. Die Unternehemnsgewinne sind okay. Es gibt keinen Grund, weshalb der Trend nicht weiter nach oben zeigen sollte.

Am Freitag endet das WEF. Welche Message würden Sie den Teilnehmern geben, wenn Sie könnten?

Ganz einfach: Tut Euer Bestes. Und tut es mit Ehrlichkeit und Anstand.

Richard Quest (57) arbeitet seit 2001 in New York beim TV-Sender CNN. Er moderiert dort die Sendungen 'Business Traveller' und die Wirtschaftssendung 'Quest means Business'. Quest arbeitet auch als Auslandsreporter.