Einige Stunden zuvor hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärt, in dem strategisch wichtigen Sjewjerodonezk werde "buchstäblich um jeden Meter gekämpft". Schon am Samstag hatten ukrainische Truppen eigenen Angaben zufolge nur noch rund ein Drittel der Stadt kontrolliert.
Oberbefehlshaber: Eine Front von 2450 Kilometer
Bei der Abwehr russischer Angriffe hat die ukrainische Armee eigenen Angaben zufolge inzwischen eine Front von etwa 2450 Kilometer Länge zu verteidigen. "Davon werden an 1105 Kilometern aktive Kampfhandlungen geführt", schrieb der Oberbefehlshaber Waleryj Saluschnyj auf Facebook.
Der Preis ist auch für die Zivilbevölkerung hoch: Nach ukrainischen Angaben kamen bislang mehr als 12 000 Zivilisten um. Die meisten Opfer seien durch Explosionen getötet worden, sagte der Chef der ukrainischen Polizei, Ihor Klymenko, in einem von der Agentur Interfax-Ukraine veröffentlichten Interview.
Kiew: Niederlage Russlands erklärtes Ziel
Ungeachtet der Gebietsverluste im Osten definiert die Ukraine weiterhin eine Niederlage Russlands als ihr Ziel. "Wir werden solange kämpfen, bis Russland verliert", sagte der Präsidentenberater Mychajlo Podoljak der oppositionellen belarussischen Onlinezeitung Zerkalo. Das von Präsident Selenskyj formulierte Minimalziel sei dabei weiter ein Rückzug der russischen Truppen auf die Linien vom 23. Februar - einem Tag vor Beginn der russischen Invasion.
Hilfe für das hochgesteckte Ziel erhält Kiew auch von zahlreichen Kämpfern aus dem Ausland. In der Ukraine kämpfen nach Angaben aus Kiew inzwischen Söldner aus rund 55 Staaten - darunter aus Deutschland - gegen die Russen, teilte ein Sprecher der Internationalen Legion auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.
Ukraine gibt Forderung nach Waffenlieferungen Nachdruck
Ein Mangel an schweren Waffen und Munition erschwert jedoch nach Angaben der Regierung in Kiew den Abwehrkampf, weshalb sie ihren Forderungen nun Nachdruck verlieh. Sie konkretisierte, wie viele und welche Waffen für einen Sieg benötigt würden: "1000 Haubitzen vom Kaliber 155 Millimeter, 300 Mehrfachraketenwerfersysteme, 500 Panzer, 2000 gepanzerte Fahrzeuge, 1000 Drohnen", schrieb Präsidentenberater Podoljak auf Twitter. Kiew erwarte dazu vom Treffen der Nato-Verteidigungsminister am Mittwoch eine Entscheidung.
Bringt Scholz-Besuch die Wende?
Wiederholt hatte die Ukraine auf schnellere Waffenlieferungen aus dem Westen gedrängt - ohne ein zufriedenstellendes Ergebnis. Die Hoffnungen liegen nun auf dem laut einem Medienbericht bald anstehenden Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Kiew. Selenskyj und seine Regierung erhoffen sich konkrete Zusagen für eine sofortige Lieferung deutscher Panzer.
Auch fordert der ukrainische Präsident von Kanzler Scholz eine eindeutigere Positionierung. "Wir brauchen von Kanzler Scholz die Sicherheit, dass Deutschland die Ukraine unterstützt. Er und seine Regierung müssen sich entscheiden", sagte er in einem Interview des ZDF-"heute-journals" in Kiew. Es dürfe nicht versucht werden, einen Spagat zwischen der Ukraine und den Beziehungen zu Russland hinzubekommen.
"Ohne deutsche schwere Waffen wird es uns leider nicht gelingen, die gewaltige militärische Überlegenheit Russlands zu brechen und das Leben von Soldaten und Zivilisten zu retten", sagte der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk der Deutschen Presse-Agentur. "Die Ukrainer erwarten, dass der Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem Besuch in Kiew ein neues Hilfspaket deutscher Rüstungsgüter verkünden wird, das unbedingt sofort lieferbare Leopard-1-Kampfpanzer sowie Marder-Schützenpanzer beinhalten soll", so der Diplomat.
Scholz hat den Vorwurf schon mehrfach zurückgewiesen, bereits versprochene Waffen zu zögerlich an die Ukraine zu liefern. Er verwies am Montag auf der Insel Riems bei Greifswald auf die Ausbildung für die ukrainischen Streitkräfte, die für die teils sehr modernen und komplizierten Waffensysteme erforderlich sei. "Es geht um richtig schweres Gerät. Das muss man benutzen können, dafür muss man trainiert werden".
Die Bundesregierung hatte sich zwei Tage nach der russischen Invasion in die Ukraine am 24. Februar dafür entschieden, Waffen in das Kriegsgebiet zu liefern. Seitdem kamen in der Ukraine Panzerfäuste, Flugabwehrraketen, Splittergranaten und mehr als 20 Millionen Schuss Munition an. Schwere Waffen wie Artilleriegeschütze und Flugabwehrpanzer wurden zwar zugesagt, aber noch nicht geliefert./ddb/DP/he
(AWP)