Scholz, Macron und Draghi waren über Nacht in einem Sonderzug nach Kiew gereist. Kurz nach ihrer Ankunft wurde in der ukrainischen Hauptstadt Luftalarm ausgelöst, der nach gut 30 Minuten wieder aufgehoben wurde.

Kurz nach seiner Ankunft besuchte Scholz den teils zerstörten Kiewer Vorort Irpin. Ähnlich wie im benachbarten Butscha waren dort nach dem Rückzug der Russen Ende März knapp 300 teils hingerichtete Zivilisten gefunden worden.

Scholz sicherte der Ukraine schon auf der Fahrt nach Kiew die weitere volle Unterstützung im Kampf gegen Russlands Angriff zu. "Es ist wichtig, wenn jetzt die Regierungschefs der drei grossen Länder, die schon bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dabei waren, nach Kiew fahren und in dieser ganz besonderen Situation des Krieges ihre Unterstützung für die Ukraine und die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine zeigen", sagte er.

Macron sagte dem Sender BFMTV, es gehe um eine "Botschaft der europäischen Einheit, adressiert an die Ukrainerinnen und Ukrainer, sowie der Unterstützung, um zugleich über die Gegenwart und Zukunft zu sprechen, weil wir wissen, dass die nächsten Wochen schwierig werden".

Scholz sagte: "Wir wollen aber nicht nur Solidarität demonstrieren, sondern auch versichern, dass die Hilfe, die wir organisieren, finanziell, humanitär, aber auch wenn es um Waffen geht, fortgesetzt werden wird." Man werde die Unterstützung so lange fortsetzen, "wie das nötig ist für den Unabhängigkeitskampf der Ukraine". Die Sanktionen gegen Russland seien von grosser Bedeutung, "denn sie tragen dazu bei, dass die Chance besteht, dass Russland sein Vorhaben aufgibt und seine Truppen wieder zurückzieht. Denn das ist ja das Ziel", unterstrich Scholz.

Der Kanzler hat stets betont, dass er nur nach Kiew reisen werde, wenn es konkrete Dinge zu besprechen gebe. Selenskyj fordert die Lieferung weiterer schwerer Waffen und dass die EU schon in der kommenden Woche auf ihrem Gipfel in Brüssel einer Kandidatur der Ukraine für eine Mitgliedschaft zustimmt.

Unmittelbar vor der Ukraine-Reise des Kanzlers hatte das russische Staatsunternehmen Gazprom am Mittwoch zum zweiten Mal kurz hintereinander die Gasliefermengen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 nach Deutschland reduziert. Gazprom begründete diesen Schritt erneut mit Verzögerungen bei Reparaturarbeiten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vermutet dahinter hingegen eine politische Entscheidung. Bereits am Dienstag hatte Gazprom eine Drosselung verkündet.

Melnyk nannte den Besuch von Scholz ein wichtiges Signal. "Die Ukrainer hoffen, dass der Bundeskanzler nicht mit leeren Händen kommt, sondern ein solides Paket militärischer Hilfen in seinem Reisekoffer mitbringt", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Es gehe darum, dass Deutschland zügig weitere schwere Waffen liefere, vor allem Artilleriegeschütze wie die Panzerhaubitze 2000 sowie Mehrfachraketenwerfer Mars II. "Man erwartet auch, dass der Kanzler im Anschluss an seine Zusage für die erste Einheit von Iris-T weitere moderne Luftabwehrsysteme zusichert, um die Zivilbevölkerung vor russischem Raketenbeschuss zu schützen."

Der Besuch sei auch ein guter Anlass, "die Blockade für Leopard-1-Kampfpanzer und Marder-Schützenpanzer aufzuheben, um die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine gegen die grossangelegte Offensive Putins zum Ersticken zu bringen", sagte Melnyk. "Für die künftige EU-Mitgliedschaft wünschen sich die Ukrainer von Kanzler Scholz, dass er die Gewährung vom Kandidatenstatus ohne künstliche Konditionen verkünden wird. Das wäre ein gewaltiges Zeichen seitens der Ampel, um die ukrainische Zivilgesellschaft und die notwendigen Reformen - trotz des Angriffskriegs - voranzubringen."

Seit Mitte März sind zahlreiche Staats- und Regierungschefs in die Ukraine gereist. Dieser Besuch ist aber zweifellos der bedeutendste: Scholz, Macron und Draghi repräsentieren die drei bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten EU-Länder. Alle drei Staaten gehören zur G7, in der sich demokratische Wirtschaftsmächte zusammengeschlossen haben. Deutschland hat in dieser Gruppe derzeit den Vorsitz, Frankreich hat die EU-Präsidentschaft.

Selenskyj hatte Scholz schon vor Wochen nach Kiew eingeladen. Zuerst standen aber Verstimmungen wegen der kurzfristigen Absage einer Reise von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von ukrainischer Seite im Weg. Nachdem die Irritationen ausgeräumt waren, verwies Scholz darauf, dass es ihm bei einer solchen Reise nicht um Symbole, sondern um Inhalte gehe: "Ich werde nicht mich einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin was machen. Sondern wenn, dann geht es immer um ganz konkrete Dinge."

Vor ihm waren schon eine ganze Reihe seiner Minister in der Ukraine: Annalena Baerbock (Aussen, Grüne), Svenja Schulze (Entwicklung, SPD) und zuletzt Karl Lauterbach (Gesundheit, SPD) sowie Cem Özdemir (Agrar, Grüne). Auch Parlamentspräsidentin Bärbel Bas (SPD) und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) besuchten Kiew./bk/DP/stk

(AWP)