Wer anderen Regierungschefs zuhörte, merkte jedoch schnell: Das deutsche Vorgehen sorgt bei einigen Partnern mindestens für Irritation, eher für Verärgerung. Denn zuletzt hatte vor allem die FDP dafür gesorgt, dass ein wichtiges Klimaschutzgesetz in der EU nicht verabschiedet werden konnte, wonach ab 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen in der EU zugelassen werden dürfen.
Am deutlichsten wurde der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins. Er sprach mit Blick auf das deutsche Vorgehen von einem "sehr, sehr schwierigen Zeichen für die Zukunft". Es sei verwunderlich, dass eine Regierung sich plötzlich anders entscheide, nachdem eine Vereinbarung bereits getroffen worden sei. Karins warnte: "Die gesamte Architektur der Entscheidungsfindung würde auseinanderfallen, wenn wir das alle tun würden." Hinter vorgehaltener Hand äussern sich Diplomaten in Brüssel deutlicher. Sie werfen Deutschland etwa einen Vertrauensbruch vor.
Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel reagierte am Donnerstag nur noch genervt auf die Debatte. Natürlich könne man beim Gipfel über alles reden. Aber eigentlich stehe das Thema nicht auf der Tagesordnung. "Es ist ja kein Wunschkonzert, wenn wir nach Brüssel kommen." Der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs solle nicht für alles zuständig sein, sondern Impulse geben. Für alles andere, so Bettel, gebe es Ministerräte. Und die Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola, kritisierte die Bundesregierung mit dem Verweis, dass man keine Abmachung rückgängig machen könne.
Was war passiert, dass Kanzler Scholz sich vor der versammelten europäischen Öffentlichkeit eine Standpauke wie die von Karins anhören musste? Noch dazu bei einem EU-Gipfel, bei dem es eigentlich um die weitere Unterstützung für die Ukraine, den Austausch mit UN-Generalsekretär António Guterres und Europas Wirtschaft ging?
Es geht um die Zukunft des Autos, wie wir es seit Jahrzehnten kennen - mit einem Verbrennungsmotor, der Diesel oder Benzin tankt und CO2 ausstösst. Eigentlich hatten sich Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments schon im Herbst auf ein weitgehendes Verbrenner-Aus ab 2035 geeinigt. Deutschland handelte jedoch einen Zusatz in das Abkommen, wonach die EU-Kommission einen Vorschlag vorlegen soll, wie nach 2035 Fahrzeuge zugelassen werden können, die ausschliesslich mit CO2-neutralen Kraftstoffen betrieben werden. Damit sind sogenannten E-Fuels gemeint, also künstliche Kraftstoffe, die mit Ökostrom erzeugt werden und klimaneutral sind.
In der EU-Kommission las man den entsprechenden Absatz stets so, dass davon Sonderfahrzeuge wie Kranken- oder Feuerwehrwagen betroffen sein sollen. Nach Berliner Lesart soll die E-Fuel-Ausnahme dagegen für alle Fahrzeuge gelten.
Vor allem die FDP will, dass auch nach 2035 noch Verbrenner zugelassen werden dürfen, die ausschliesslich E-Fuels tanken. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) zog deshalb Anfang März kurz vor der geplanten endgültigen Abstimmung die deutsche Zustimmung zurück und fordert seitdem immer wieder, eine "rechtssichere Vereinbarung mit der EU-Kommission" für eine "technologieoffene" Lösung. Genau darüber verhandeln Wissings Fachleute derzeit mit der EU-Kommission - auch parallel zum Gipfel.
In Brüssel befürchten viele längst, dass das gesamte Gesetz zum Verbrenner kippen könnte. Denn mittlerweile haben sich andere Länder der deutschen Haltung angeschlossen. Italien etwa, wo inzwischen die rechte Regierung von Giorgia Meloni regiert. Oder Österreich. Kanzler Nehammer sagte am Donnerstag, aus seiner Sicht sei wichtig, den Entwicklungsstandort Europa weiterzuentwickeln und nicht zu gefährden. "E-Fuels und der grüne Verbrenner sind dazu der Weg. Das muss jetzt einmal gepusht werden."
Scholz gab sich dagegen demonstrativ gelassen. Die Gespräche zwischen dem Verkehrsministerium und der EU-Kommission seien auf einem guten Weg. Fehler sieht er bei seiner Regierung nicht. Stattdessen verweist er auf den nun eingeforderten Vorschlag der EU-Kommission zu E-Fuels: Es sei "immer richtig, sich an die eigenen Zusagen zu halten".
Die EU-Kommission konterte prompt: Man habe zu keinem Zeitpunkt einen Vorschlag vor der endgültigen Abstimmung versprochen, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus der Behörde. Vielmehr sei bei einem Treffen der EU-Botschafter im November eine Erklärung verlesen worden, in der es hiess: "Nachdem die Verordnung durch das Europäische Parlament und den Rat endgültig angenommen wurde, wird die Kommission den potenziellen Beitrag von CO2-neutralen Kraftstoffen zur Erreichung einer klimaneutralen Mobilität prüfen."/wim/DP/stw
(AWP)