cash.ch: Der Januar hat die Märkte massiv zurückgehen lassen. Wie ist Schroders bei Aktien jetzt gewichtet? 

Remi Olu-Pitan: Unter dem Multi-Asset-Blickwinkel sind Aktien derzeit bei uns mit 'neutral' eingestuft. Davor waren sie seit April 2020 mit 'übergewichten' eingestuft. Der Grad an Übergewicht in Aktien ist aber schon in der zweiten Hälfte 2021 reduziert worden. Wir sind derzeit aber auch nicht untergewichtet! 

Was sind die 'sichersten Wetten' in einem Markt wie diesem, wie wir ihn gerade erleben? 

Die sicherste Wette aus heutiger Sicht ist es, Geduld zu üben. In unseren Portfolios haben wir den Cash-Bestand erhöht. Wir halten jetzt mehr Cash als in den gesamten vergangenen 18 Monaten. Wir planen zwar, diese Mittel in Aktien zurück zu investieren, aber noch nicht jetzt.  

Dies dürfte an den Zinsaussichten liegen. Vor allem die US-Notenbank Fed verunsichert den Markt weiterhin…

Wir glauben nicht, dass das vorrangige Ziel der Fed es ist, die Märkte zu unterstützen. Das Ziel der Fed ist es, die Wirtschaft zu unterstützen und wegen der hohen Inflation muss sie die Zinsen erhöhen und die Unterstützung entfernen, an die sich die Finanzmärkte gewöhnt haben. Die Preise an den Märkten können noch viel mehr korrigieren, als wir uns dies in den vergangenen zwei Monaten gesehen haben. 

Was haben Sie verkauft, um die Cash-Bestände zu erhöhen? 

Wir zogen die Mittel aus den Bereichen ab, die wir als hoch bewertet und entsprechend verletzlich angesehen haben -  und es war eine schwierige Entscheidung: Wir zogen es ab aus Wachstumsaktien, Technologie und dem US-Markt. Es gab viele Gründe, den US-Aktienmarkt zu lieben, aber jetzt sind die USA das Epizentrum der Probleme, mit denen sich die Finanzmärkte auseinandersetzen müssen. 

Meinen Sie damit vor allem Zinsen und Inflation? 

Ja, es ist jetzt noch nicht die Sorge um das Wirtschaftswachstum. Wir fürchten uns nicht vor einer Rezession. Wir beobachten die Anleihenmärkte in den USA genau, wo sich die Risikoaufschläge angesichts einer starken Korrektur nicht massiv ausgeweitet haben. Nein, die Befürchtungen richten sich entlang der Normalisierung der Geldpolitik. Hoch bewertete Segmente müssen jetzt dafür bezahlen. 

Haben Sie nach dem Beginn der Marktrotation, also Anfang Januar, sofort verkauft, oder ist dies ein Prozess? 

Es war ein Prozess. Ich bin ehrlich: Die meiste Zeit letztes Jahr bevorzugten wir Wachstumssektoren bei Aktien, änderten dann aber unseren Kurs im vierten Quartal als die Fed, begann sich 'hawkish' zu äussern. Die Fed-Protokolle von Dezember, die am 5. Januar veröffentlicht wurden, bildeten den Auslöser, sich weiter von den Wachstumstiteln abzuwenden. 

Bei Wachstums- oder Tech-Aktien unterscheiden manche zwischen den sehr profitablen Branchengrössen und kleineren, innovativen aber unprofitablen Unternehmen. Machen Sie diesen Unterschied auch? 

Es ergibt absolut Sinn, zu unterscheiden. Unternehmen im Tech-Sektor, die auf Hoffnung auf künftige Erfolge gebaut sind - erneuerbare Energien oder Biotechnologie etwa -, sind im richtigen Trend. Diese werden in der Zukunft übergrosse Profite abwerfen. Aber heute sind sie sehr verwundbar. Die 'Microsofts dieser Welt' liefern immer noch fantastische Gewinne ab, auch wenn der Markt zuletzt ein Hauch enttäuscht war. 

Also dort bald zukaufen? 

Die Realität der der grosskapitalisierten Tech-Unternehmen ist zwar solide, die Cashflows sind gut. Aber, wenn man in schlechter Gesellschaft ist, dann können alle hinfallen. Der Gegenwind für den ganzen Sektor ist massiv, und viele Investoren haben gar nicht die Musse, um zu differenzieren. Sie verkaufen einfach. In den nächsten Wochen werden sich Investoren weiter aus diesem Teil des Marktes zurückziehen, weil die geldpolitische Richtung der Fed geändert hat. Danach werden sich für Value-Jäger Gelegenheiten innerhalb des Sektors bieten. 

Wann wird so ein Moment für die Rückkehr zu Wachstumstiteln sein? 

Wir sind sehr vorsichtig bezüglich Wachstums-Titeln und sehen bewertungsseitig keinen Grund, jetzt in diese wieder zu investieren. Die Kurse der Tech-Gesellschaften dürften noch weiter fallen. 

Worauf schauen Sie?

Wir haben bei US-Tech jetzt einen Rückgang der Kurse von zwischen 13 und 14 Prozent gesehen. Mit dem Hintergrund des Multi-Asset-Ansatzes aber denken wir, dass diese Titel auch nach einer Korrektur von mindestens 20 Prozent noch nicht interessant sind. Da kann noch mehr bergab gehen. Ein Trigger, der hingegen helfen würde, ist grössere Klarheit von der Fed. Dies werden wir wohl erst im Frühling sehen. 

Also teilen Sie eine verbreitete Ansicht, dass mehr Stabilität erst mit dem für Mitte März angekündigten Zinsschritt eintreten wird? 

Ich denke, die Fed selber wird erst in der Lage sein, ihren Weg klarer zu kommunizieren, wenn sie erst einmal die Zinsen erhöht hat. Vielleicht haben wir dann auch mehr Klarheit über die Inflation und die Situation der US-Konjunktur. 

Wenn sie das Gewicht Ihres US-Engagements reduziert haben - wo bei Aktien sehen Sie bessere Gelegenheiten?

Unser grösster Shift weg von den USA ging in Märkte wie Europa, Grossbritannien und die Schwellenländer. Die sind vielversprechender. 

Was für Sektoren haben Sie dort im Auge?

Die Aktienmärkte in Europa und Grossbritannien sind aus derzeitiger Betrachtung besser zusammengesetzt: Mehr Finanztitel, Zykliker oder Rohstoffaktien, die in einer geldpolitischen Normalisierung besser laufen, und dazu weniger Technologie und Konsumgüter als die USA. Aber auch dies ist eine aktienmarktspezifische und keine wirtschaftliche Sorge: Wir sehen die US-Wirtschaft als stark an, und die europäische auf den Weg der Erholung. Schwellenländer wiederum hatten vergangenes Jahr schon viel negatives zu bewältigen und manches davon ist nicht verschwunden. Aber wir sehen dies als eingepreist. 

Sie sagten, Konjunktur sei nicht die vorrangige Sorge. Kann man der Erholung trauen? 

Es könnte sein, dass viele Unternehmen mehr bestellt haben, als sie benötigen werden. Dies könnte sich negativ auf die Wirtschaftsdaten auswirken. Unsere Ökonomen erwarten, dass  sich das wirtschaftliche Momentum in der zweiten Jahreshälfte 2022 verschlechtern könnte - was man übrigens auch an den Anleihenmärkten spüren würde.

Erwarten Sie eine Normalisierung der Lieferketten-Probleme, die seit Mitte 2021 die Weltwirtschaft ziemlich stark prägen? 

An diesem Punkt ist China der absolut grösste Faktor. Im Moment wird in der Bekämpfung der Coronapandemie dort eine Null-Covid-Politik verfolgt. Und dies ist nun einmal ein Problem für die Lieferketten. Derzeit glauben wird, dass wir immer noch Engpässe haben werden, aber nicht mehr in so extremem Ausmass wie vergangenes Jahr. Was hilft, sind Verbesserungen beim Halbleiter-Nachschub, vor allem in Südkorea und Taiwan. Aber ein grosses Fragezeichen bleibt bei China. 

Geopolitische Risiken, die sich noch auswirken könnten, sehen wir derzeit im Ukraine-Konflikt. Dazu kommen höhere Energiepreise. Wird dies die Märkte belasten? 

Dies ist eine andere Form von Gegenwind bei den Lieferkettenproblemen. Dies ist an den Finanzmärkten auch noch nicht richtig eingepreist. Wir sehen da also ein weiteres Problem. 

Die Befürchtungen einer 'Krise der Lebenshaltungskosten' wachsen, nicht zuletzt bei Ihnen in Grossbritannien. Kann dies den Märkten noch gefährlich werden? 

Es könnte. Denn diese Krise hat Einfluss auf die Art, wie die Entscheidungsträger agieren. Seit der Finanzkrise haben die Zentralbanken den Stimulus geliefert, um die Märkte zu unterstützen. Es gab keine Inflation. Wenn wir eine Krise der Lebenshaltungskosten haben, also Inflation, geht die Unterstützung der Zentralbanken verloren, an die wir uns so sehr gewöhnt haben. Die Zentralbanken werden nicht mehr die Wall Street unterstützen, sondern die Menschen im täglichen Leben, indem sie die Inflation zu bekämpfen versuchen. 

Bezüglich der Pandemie bekommt man den Eindruck, die Märkte stellten sich mehr und mehr auf eine Nach-Covid-Welt ein. Haben sich die Finanzmärkte weitestgehend mit Corona arrangiert? 

Das ist eine gute Frage. Für uns, die Weltbevölkerung, ist es natürlich eine gute Nachricht, dass das Virus offenbar nicht mehr so gefährlich ist. Die Finanzmärkte aber sind meiner Meinung nach etwas selbstgefällig. Denn die Investoren haben noch nicht richtig begriffen, was die 'Endemie' genau für sie bedeutet. 

Was meinen Sie damit?

Die Endemie bedeutet noch mehr das Wegfallen von Unterstützung. Wir bekamen Notenbank-Stimuli auch deswegen, weil wir durch die Pandemie kommen mussten. Und da zeigt sich wieder die Gefahr für gewisse Sektoren. Auch dies ist ein Grund, weshalb der Ausverkauf bei Wachstumsaktien noch weitergehen wird. Schon Anfang 2021 hatten wir eine Rotation von Wachstum zu Value. Aber da waren wir mitten in der Pandemie und hatten die Notenbanken-Unterstützung. Jetzt haben wir möglicherweise bald eine endemische Situation mit dem Virus, gepaart mit verbleibenden Lieferkettenproblemen, höherer Inflation, höheren Kosten wegen einer Re-Nationalisierung gewisser Produktionen, höheren Energiepreisen und steigenden Kosten als Folge einer veränderten Klimapolitik. Und dazu kommt jetzt gewissermassen ein negativer Aspekt von 'Leben mit dem Virus.' 2022 ist das Jahr der Realität und gewisse Nachteile werden sichtbarer. 

Wenn wir als Menschen anfangen, mit dem Virus zu leben, müssen die Finanzmärkte mit weniger Stimulus leben. Eine harte Verschiebung also. 

Das ist es. Ein harter Prozess der Anpassung. Wir sahen dies 1919 mit der Spanischen Grippe, der Situation generell nach dem Ersten Weltkrieg: Viel Unterstützung der Wirtschaft, was den Finanzmärkten half, gefolgt aber von so etwas wie einem 'verlorenen Jahrzehnt', was Asset-Preise betrifft.

Remi Olu-Pitan führt bei Schroders in London den Bereicht Multi-Asset Growth and Income. Sie leitet auch den Fonds "Schroder ISF Global Multi-Asset Income" und ist Co-Fondsmanagerin des Fonds "Schroder Diversified Growth".