Die Schweiz wird vermutlich von den USA als Währungsmanipulator eingestuft. Drohen nun Spannungen im bilateralen Verhältnis?

Martin Naville: Das ist natürlich etwas unangenehm. Aber es wird keine direkten Konsequenzen haben. Die Schweiz war ja schon viele Jahre auf dieser "Watchlist". Auf der amerikanischen Seite ist das Verständnis gross, dass das Wirtschaftsverhältnis ausgeglichen ist. Die Schweiz verfügt über einen grossen Überschuss bei den Warenexporten. Die USA ihrerseits haben ein grosses Plus bei den Dienstleistungen. Wenn nicht eine sehr negative Entwicklung dazukommt, wird sich die Beziehung zwischen den beiden Ländern nicht gross verändern.

Ist die aktuelle Situation mit der Vergangenheit vergleichbar? Die politische Situation in den USA ist äusserst angespannt, Präsident Donald Trump ist unter Druck.

Aus amerikanischer Sicht spielt der Umstand, dass die Schweiz gegenüber den USA einen Handelsbilanzüberschuss hat, überhaupt keine Rolle. Die wirtschaftliche Bedeutung der Schweiz ist zu klein.

Die Schweiz wollte einen Freihandelsvertrag mit den USA abschliessen. Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt.

Das Vorhaben ist noch nicht gescheitert. Die Schweiz konnte schon lange nicht mehr auf so viel Goodwill in einer amerikanischen Regierung zählen. Aussenminister Mike Pompeo hat die Schweiz besucht, Handelsminister Wilbur Ross äusserte sich am Weltwirtschaftsforum in Davos extrem positiv zur Schweiz. Und Präsident Trump lud letztes Bundesrat Ueli Maurer ins Weisse Haus ein. Die Schweiz steht jedoch nicht zuoberst auf der Liste, wir sind ein kleines Land. Ein Deal würde für amerikanischen Arbeiter und Bauern nicht viel ändern. Aber falls Trump weitere vier Jahr regieren kann, und sich die Lage in der Covid-19-Pandemie beruhigt, könnte ein Freihandelsdeal wieder möglich werden.

Sie sprechen von vier weiteren Jahren mit Donald Trump. Aber in Umfragen liegt der Herausforderer Joe Biden weit vorne.

Bis zu den Wahlen vergehen noch mehr als 100 Tage. Ich gebe heute beiden Kandidaten eine etwa gleich hohe Chance, die Präsidentschaft zu gewinnen, für mich steht es 50:50. Der Ausgang der Wahlen hängt auch davon ab, wie ungeschickt sich Joe Biden dieses Mal verhalten wird. Biden ist vielleicht der ungeschickteste "Campaigner" in der jüngeren US-Geschichte. Er hat bereits zwei Mal kandidiert, ohne  je einen einzelnen Bundesstaat zu gewinnen. Und er ist immer noch kein guter Wahlkämpfer.

Was würde sich unter einem Präsident Biden verändern?

Die Tonalität würde sich verändern, und gewisse Steuern würden massiv steigen. Auch beim Umweltschutz dürfte Biden eine andere Politik verfolgen. Was sich nicht verändern würde, ist die angespannte Beziehung zu China.

Und in der Beziehung zur Schweiz?

Die Schweiz hatte unter den Präsidenten Clinton, Bush, Obama und Trump ein ausgezeichnetes Verhältnis mit den USA. Und sie hätte auch unter einem Präsidenten Biden ein ausgezeichnetes Wirtschaftsverhältnis mit Amerika. Die Chancen für einen Freihandelsdeal wären unter Biden allerdings kleiner als unter Trump.

Sie haben den Konflikt mit China angesprochen. In diesem Streit spielt ja auch die Firma Huawei eine Rolle. Die USA wollen den chinesischen Konzern beim Aufbau des 5G-Netzes ausbremsen. In der Schweiz arbeitet Sunrise bei 5G mit Huawei zusammen. Könnte sich die Schweiz deswegen Probleme mit den USA einhandeln?

Huawei ist technologisch eine sehr starke Firma. Sie steht aber klar unter Kontrolle der chinesischen Regierung. Die Schweiz muss sich auch weiterhin gut überlegen, aus welchen systemkritischen Teilen Huawei auszuschliessen ist. Ich schliesse allerdings  aus, dass Huawei in der Beziehung zu den USA zum Thema werden könnte. Die Schweiz ist in diesem Schachspiel eine kleine und unbedeutende Figur. Sie könnte nur ein Problem erhalten, wenn die EU und USA wegen Huawei in einen Konflikt geraten.

Martin Naville leitet seit 2004 die Handelskammer Schweiz-USA.

Dieses Interview erschien zuerst auf handelzeitung.ch unter dem Titel: «Ein Freihandelsdeal Schweiz-USA ist noch nicht gescheitert».