Noch in den 1990-er Jahren hätte man die aktuelle Weltlage mit dem Ukraine-Krieg, dem Vormarsch autoritärer Staaten und der erodierenden Nachkriegsordnung mit Multilateralismus und Freihandel als Dystopie gewertet. Die Welt habe sich ungeheuer beschleunigt, sagte Berset.
Das sei eine gewaltige Herausforderung gerade für die durch Stabilität verwöhnte Schweiz. Auf globaler Ebene sei dabei der Standpunkt klar: Der Wert der internationalen Rechtsordnung sei eminent.
Jeweilige Rolle wahrnehmen
Innenpolitisch sollte die Verunsicherung Anlass für eine Konzentration auf das Wesentliche sein. Seit der Finanzkrise 2008 hätten sich Wirtschaft und Gesellschaft entfremdet. Deshalb müssten sich Politik und Wirtschaft ihrer jeweiligen Rollen wieder bewusst werden.
Das habe auch Adam Smith, der vor 300 Jahren geborene Vordenker des freien Markts, festgehalten, sagte Berset. Ausgerechnet der "gnadenlose Kritiker staatlicher Intervention" habe neben dem als Lob des Eigennutzes geltenden Buch "Origins of the Wealth of Nations" auch "The Glory of Moral Sentiments" geschrieben.
Darin plädiert Smith gemäss Berset für Altruismus, Solidarität, Zusammenarbeit und Empathie. Die beiden Bücher würden indessen nicht im Gegensatz stehen, denn in beiden spreche sich Smith für das Gemeinwohl aus, erklärte Berset.
Wenn das Vertrauen zwischen Gesellschaft und Wirtschaft verschwinde, brauche es die Politik, damit die Märkte sich fair und frei zugunsten der Menschen entfalten. Bedingung für eine erfolgreiche Wirtschaft sei für Smith, dass es allen einigermassen gut geht, sagte der Bundespräsident.
Wirtschaftsprominenz in Interlaken
Am zweitägigen "Swiss Economic Forum" (SEF) stehen viele Themen auf dem Programm, sei es der Ukraine-Krieg, die unsichere Konjunkturlage, nachhaltiges Wirtschaften oder das brüchige Bankensystem.
Neben Berset erwartet das Forum aus der Politik den russischen Schachweltmeister und Oppositionellen Garry Kasparow und die ungarische Staatspräsidentin Katalin Novák. Seitens der Wirtschaftsprominenz treten Nationalbankpräsident Thomas Jordan von UBS-Chef Sergio Ermotti auf.
Ermotti dürfte auch zur Notübernahme der Credit Suisse und zur Zukunft der Megabank UBS Stellung nehmen. Weiter sprechen Gary Nagle, Chef des Rohstoffriesen Glencore, Swiss-Chef Dieter Vranck, Alpiq-Chefin Antje Kanngiesser sowie die ETH/EPFL-Präsidenten Joël Mesot und Martin Vetterli.
Das 1998 gegründete und in den ersten Jahren noch in Thun durchgeführte SEF ist ein Gegenpol für Schweizer KMU zum Davoser Weltwirtschaftsforum WEF. Es feiert 2023 sein 25-jähriges Jubiläum und steht unter dem Motto "Make it happen". Veranstalterin ist die NZZ-Mediengruppe, welche die "Neue Zürcher Zeitung" herausgibt.
(AWP)