Die Schweizer Kleinstadt Laufenburg ist ein Symbol für das integrierte Stromnetz Europas. Seit 1958 werden die Netze der Schweiz, Deutschlands und Frankreichs dort zusammengeführt. Der "Stern von Laufenburg", wie die Schaltanlage genannt wird, sorgt seit über 60 Jahren für eine stabile Stromversorgung der Schweiz und Europas, seit der Stromverbrauch als Folge des Wirtschaftswunders der Nachkriegszeit stark angestiegen ist.

Nun verblasst der Glanz dieses Sterns. Die Schweiz ist mit der drohenden Abkopplung vom europäischen Strommarkt konfrontiert. Die Branche ist das jüngste Schlachtfeld der Europäischen Union in ihrem Bemühen, das Land gefügig zu machen. Die Schweiz hatte sich im Mai geweigert, ein Abkommen zu unterzeichnen, das praktisch alle ihre Beziehungen zur EU tangiert hätte.

Keine Strommarktkopplung

Ohne entsprechende Verträge dürfen die Schweizer nun nicht mehr an der sogenannten Strommarktkopplung teilnehmen und ab dem 1. Juli werden ihre Herkunftsnachweise, die Strom aus erneuerbaren Quellen entsprechend zertifizieren, nicht mehr von der EU akzeptiert.

Die zunehmend angespannten Beziehungen zu Brüssel beginnen die Schweizer zu verunsichern und sorgen für Galgenhumor über mögliche Stromausfälle im Land. Auch wenn diese im grossen Stil eher unwahrscheinlich bleiben, wächst die Sorge, dass die Pattsituation mit der EU letztendlich höhere Kosten für Schweizer Bürger und Unternehmen mit sich bringt.

Ohne ein Stromabkommen mit der EU werden mehr Anstrengungen nötig sein, um die Netzstabilität zu gewährleisten, sagte der grünliberale Nationalrat Martin Bäumle. Das führe zu Kosten auf Schweizer Seite.

Die Auswirkungen auf den Strommarkt sind nur die jüngste Folge des Scheiterns des Rahmenabkommens mit der EU, das bilaterale Regelungen von der Einwanderung bis zur Zivilluftfahrt hätte ersetzen sollen. Die Schweiz befürchtet, das Abkommen bedrohe Souveränität und Arbeitsmarkt. Die EU erklärte, ohne eine Einigung erhalte die Schweiz keinen uneingeschränkten Zugang zu ihrem Binnenmarkt. Der bringt der Schweiz laut einer Berechnung der Bertelsmann Stiftung von 2019 einen jährlichen gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsgewinn von 24 Milliarden Euro -- auf Pro-Kopf-Basis mehr als Deutschland.

Privilegien verlieren

Die EU hat gerade den Brexit hinter sich und ihre Haltung zunehmend verschärft. Im Jahr 2019 gab es seitens Brüssel den gescheiterten Versuch, den Handel mit Schweizer Aktien einzuschränken, indem es der Börse des Landes die regulatorische Anerkennung verweigerte.

Anfang dieses Jahres wurde der Schweizer Bahnbetreiber SBB von einem EU-Forschungsprogramm ausgeschlossen und seit Mai können Schweizer Medizingerätehersteller ihre Waren nicht mehr frei in die EU exportieren, wie sie es seit Jahren getan hatten. Stromkonzernen könnten nun einen der heftigsten Schläge abbekommen.

"Die Schweiz wird nach und nach ihren privilegierten Anschluss an das Stromsystem der EU verlieren", sagte die Europäische Kommission auf Nachfrage. "Weniger Anschluss und weniger Kooperationen werden das Schweizer Energiesystem weniger effizient und für Schweizer Verbraucher teurer machen."

Schlüsselrolle im Stromsystem der EU

Die kleine Schweiz spielt aufgrund der von ihr produzierten umweltfreundlichen Energie und des Stroms, der über ihre Grenzen fliesst, eine Schlüsselrolle im Stromsystem der EU. Durch den Ausschluss vom EU-Strommarkt und seinem Algorithmus zur Berechnung der Lieferungen befürchtet Swissgrid AG, dass sein Netz, das an 41 Orten über riesige, Interkonnektoren genannte Stromkabel mit denen der Nachbarländer verbunden ist, mit der Zeit an Stabilität verlieren wird. Wichtige Komponenten könnten überlastet werden, wenn Strom hin- und hergeschickt wird.

"Es ist wie ein Körper und man schneidet ihm das Herz heraus", sagt Eberhard Röhm-Malcotti, Leiter der EU-Energiepolitik bei Axpo Holding AG, dem grössten Energieversorger der Schweiz.

Ausserdem sieht sich das Land mit dem Gespenst konfrontiert, von der Stromversorgung durch seine Nachbarländer abgeschnitten zu werden. Auf die verlässt sie sich in den Wintermonaten, wenn der Energiebedarf besonders hoch ist.

Die Schweizer Energieproduzenten hoffen auf ein technisches Abkommen, auch wenn das die heikle Frage des Marktzugangs nicht lösen würde. Dann hätte die Schweiz eine nachhaltige Lösung, sagt Michael Frank, Direktor des Schweizerischen Verbandes der Elektrounternehmen. Eine stabile Stromversorgung sei entscheidend für den Wirtschaftsstandort Schweiz.

Keine Anerkennung der Herkunftsnachweise

Erschwerend kommt hinzu, dass Schweizer Stromproduzenten Geld verlieren, wenn die Herkunftsnachweise nicht mehr anerkannt werden, weil der grenzüberschreitende Markt für diese handelbaren Zertifikate ausgetrocknet ist.

Strom im Netz wird aus vielen nicht-erneuerbaren Energieträgern wie Kohle, Gas oder Kernkraft hergestellt. Die Zertifikate sind der Beleg für grünen Strom und für viele Unternehmen von Google bis Procter & Gamble Co. wichtig, die sich verpflichtet haben, nur sauberen Strom zu verbrauchen. Der finanzielle Schaden durch die Nicht-Anerkennung ist indes schwer zu beziffern.

Ein Überangebot an Zertifikaten in der Alpenrepublik könnte Stromerzeuger davon abhalten, in erneuerbare Technologien zu investieren, so Axpo. Trotz aller Bedenken kann Brüssel wegen der Verknüpfung der Netzwerke die Schweiz nicht hart treffen, ohne sich selbst zu schaden, sagte Bäumle.

Stromausfall würde alle treffen

Man könne nicht einfach einen Schalter umlegen und dann ist die Schweiz ausgeschlossen, sagte er. Ein Stromausfall würde alle treffen. Es sei eine Illusion, dass in der Schweiz die Lichter ausgehen würden, aber anderswo in Europa anblieben.

Die Schweiz kann sich darüber hinaus mit den Erfahrungen der Brexitverhandlungen trösten. Der Zugang Grossbritanniens zum Energiemarkt der EU war Teil der Trennungsgespräche und wurde bei den Verhandlungen über Fischfangquoten als Druckmittel genutzt. Am Ende behielt Grossbritannien unveränderten Zugang.

Das hält die Schweizer jedoch nicht davon ab, sich über das Thema den Kopf zu zerbrechen. Als kürzlich bei einem Bloomberg-Interview in Zürich das Licht kurz ausging, sagte der Interviewpartner, nur halb im Scherz: "Ah, das ist Brüssel, die uns den Stecker ziehen."

(Bloomberg)