Festgelegt hat der Demokrat sich bislang lediglich darauf, dass der Job, den er selbst acht Jahre unter Barack Obama innehatte, an eine Frau gehen soll. Doch schon allein wegen Bidens hohen Alters rückt das Thema diesmal mehr in den Fokus als bei früheren Wahlen. Im Falle eines Siegs im November wäre er beim Amtsantritt im Januar 78 Jahre - so alt wie kein Präsident vor ihm. Würde er - etwa aus gesundheitlichen Gründen - seine Amtszeit vorzeitig beenden, käme seine Stellvertreterin zum Zug. Sollte Biden 2024 nicht erneut antreten, wäre sie zumindest Favoritin auf die Spitzenkandidatur. Viele Wähler dürften also ganz genau hingucken, wessen Name neben Biden auf dem Ticket der Demokraten steht.
In diesen Tagen wollen Biden und sein Wahlkampfstab das Feld der potenziellen Anwärterinnen auf die Vizekandidatur einengen. Noch diese Woche sollen Hintergrundchecks abgeschlossen werden, die diejenigen, die infrage kommen, auf Herz und Niere hinsichtlich ihrer Eignung überprüfen. Anschliessend will Biden jede der Finalistinnen interviewen. Eine Entscheidung wird Anfang August erwartet, wenige Wochen vor dem Nominierungsparteitag der Demokraten, auf dem mit der offiziellen Kandidatenkür der Startschuss für die heisse Phase des Wahlkampfs fällt.
Bidens Alter sei ein Aspekt, warum die Suche nach seiner Vizekandidatin hohe Aufmerksamkeit bekomme, sagt der ehemalige demokratische Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid. Doch es gebe noch andere Gründe. Biden gilt als Vertreter der politischen Mitte. Er wirbt mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Senator und als Vizepräsident, der er bis zu Trumps Amtsantritt war. Bei der Wahl seiner Stellvertreterin muss er eine ganze Reihe von Faktoren abwägen. Dazu zählen Ideologie, Hautfarbe und ethnischer Hintergrund. Es ist aber auch wichtig, dass die Kandidatin bei Geldgebern gut ankommt, dass sie Begeisterung wecken kann, und die traditionelle Rolle des Vizes übernimmt, den Gegenkandidaten auch mal aggressiver anzugehen.
Mehrzahl der Anwärterinnen sind Afroamerikanerinnen
Alex Heckler, einer von Bidens finanzpolitischen Beratern, sagt, die ideale Vizepräsidentschaftskandidatin wäre die, die Trump wegen seiner Versäumnisse angreifen könnte und die qualifiziert sei, als erste Frau im Präsidentenamt zu dienen, sollte dies erforderlich werden. Heckler macht sich für die afroamerikanische Senatorin Kamala Harris aus Kalifornien stark. Aus dem Feld der Anwärterinnen stach sie in den vergangenen Wochen am meisten heraus. Das Online-Wettbüro PredictIt sieht sie am besten positioniert, von Biden aufgestellt zu werden. Nach der Tötung des Schwarzen George Floyd durch einen Polizisten in Minneapolis im Mai avancierte die 55-Jährige zu einer prominenten Stimme in der landesweiten Debatte über Rassismus und Polizeigewalt. Viele Schwarze an der Parteibasis halten die ehemalige Staatsanwältin für Bidens beste Wahl.
Neben der Strategie zur Bewältigung der Corona-Krise und den dadurch verursachten Wirtschaftsverwerfungen ist das Kriterium Hautfarbe auf der Suche nach Bidens Stellvertreterin seit dem Ausbruch der Protestwelle gegen Rassismus ins Zentrum gerückt. Bei der Wahl im November dürfte viel davon abhängen, wie sehr Biden die afroamerikanischen Wähler mobilisieren kann. "Wenn ich sehe, was gerade in diesem Land passiert, dann bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass Joe Biden eine schwarze Frau als Vizepräsidentschaftskandidatin braucht", sagt die Mitbegründerin der Bürgerrechtsbewegung Black Voters Matter, LaTosha Brown.
Unter den Anwärterinnen, denen dem Vernehmen nach in der Partei im Moment die besten Chancen auf den Vizeposten eingeräumt werden, befinden sich neben Harris vier weitere schwarze Frauen: die Kongressabgeordneten Val Demings und Karen Bass, die ehemalige Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice und Atlantas Bürgermeisterin Keisha Lance Bottoms. Hinzu kommen New Mexikos hispanoamerikanische Gouverneurin Michelle Lujan Grisham, die dabei helfen könnte, Stimmen der wachsenden Latino-Wählergruppe zu gewinnen, und die asiatisch-amerikanische Senatorin Tammy Duckworth, eine Veteranin, die ihre Beine bei einem Militäreinsatz verlor.
Die einzige weisse Frau auf der Liste ist Senatorin Elizabeth Warren. Auch sie geniesst viel Rückhalt in der Partei. Sie ist eine der prominentesten Vertreterinnen des linken Flügels der Demokraten, der in den vergangenen Jahren immer stärker wurde. Sie könnte Anhänger mobilisieren, die frustriert erlebten, wie ihre Gallionsfigur Bernie Sanders nach der Niederlage im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur gegen Hillary Clinton vor vier Jahren sich nun auch dem moderaten Biden beugen musste.
(Reuters)