Frau Heinel, Ihr CEO hat fünf Thesen aufgestellt, wie sich die Finanzwelt in den nächsten zehn Jahren verändern wird. Eine davon lautet: Der grösste Vermögensverwalter der Welt wird 2029 chinesisch sein. State Street Global Advisors ist heute die Nummer drei. Wird die Nummer drei in zehn Jahren chinesisch sein?
Wir werden dann hoffentlich die Nummer zwei sein (lacht).
Ist die These Ihres CEO nicht gewagt? Die USA und China stehen in einem Handelskonflikt. Die Globalisierung stockt. Wieso sollte Chinas Finanzsektor führend werden?
Die Prognose war auch als Provokation gedacht. Er wolle nicht sagen, dass sich die Finanzindustrie künftig in China konzentriert. Das am schnellsten wachsende Segment in der Vermögensverwaltung sind die Privatanleger. Wo wächst ihre Zahl am stärksten? Es ist in China – dort leben über eine Milliarde Menschen, die immer kaufkräftiger werden. Gleichzeitig ist es für ausländische Anbieter schwierig, in den chinesischen Markt einzusteigen.
Welche Eintrittsbarrieren meinen Sie?
China beschränkt die Aktivitäten ausländischer Vermögensverwalter. Das Land hat den Markt zwar ein wenig geöffnet, die Ausländer können sich aber weiterhin nicht voll entfalten. State Street ist in China aktiv, viele unserer Konkurrenten ebenso. Aber chinesische Anbieter haben dennoch viel mehr Spielraum. So funktioniert die chinesische Wirtschaft.
Donald Trump kämpft um seine Wiederwahl als US-Präsident im kommenden Herbst. Ein diplomatischer Erfolg im Handelskonflikt könnte der US-Wirtschaft einen Schub verleihen. Wäre das nicht in seinem Interesse?
Alles ist möglich. Die Entwicklung der Verhandlungen liess sich bisher nur schwer voraussagen. Einerseits will Trump seine Wähler hinter sich scharen. Bei ihnen kommt seine harte Haltung gegenüber China gut an, sie machen das Land dafür verantwortlich, dass US-Jobs verloren gingen. Aber amerikanische Unternehmen leiden unter dem Handelskonflikt, und sie liegen Trump mit ihren Sorgen in den Ohren. Die Frage ist, welche Gruppe er vor den Wahlen stärker bedienen will. Wenn er seine Wähler zu verlieren droht, könnte er eine harte Haltung einnehmen. Sollte die Konjunktur Schwäche zeigen, wird er womöglich auf einen weicheren Kurs einschwenken.
Was würden vier weitere Jahre Donald Trump für die US-Wirtschaft bedeuten?
Sollte Trump gewinnen, würde die weitere Politik auch von der Zusammensetzung des Kongresses abhängen. Wenn der Kongress zwischen Republikanern und Demokraten gespalten wäre, könnten wir eine Fortsetzung des bisherigen Kurses erwarten. Die Trump-Regierung hat sich bisher ziemlich gemässigt gezeigt in ihrer Wirtschaftspolitik, namentlich gegenüber der Energie- und Finanzindustrie sowie dem Gesundheitssektor.
Das würde aber nicht bedeuten, dass Investoren die gleichen Erträge erwarten könnten. Die Kurse sind bereits stark gestiegen, wir stehen spät im Zyklus.
Die Rally an den Märkten geschah auch wegen den massiven Steuersenkungen und der Zinssenkungen der Notenbank Fed. Diese Möglichkeiten sind nun weitgehend ausgeschöpft. Trump kann keine Geschenke mehr verteilen. Ja, der Tank ist fast leer, weitere staatliche Impulsprogramme sind wohl nicht möglich angesichts der Billionen-Dollar-Staatschulden.
Kann die Fed der Wirtschaft noch Impulse verleihen?
Nein, und das heisst eben, dass Anleger nicht mehr dieselben Rendite erwarten dürfen. Eine weitere Amtszeit unter Trump würde die Märkte nicht beflügeln, aber sie gleichzeitig auch nicht stark bremsen.
Und was wird passieren, wenn eine Demokratin oder ein Demokrat gewinnt?
Hier mache ich ein grosses Fragezeichen. Ein Regierungswechsel schafft immer Unsicherheit. Viele der führenden Kandidaten möchten die Steuern für Vermögende und Unternehmen erhöhen. Manche wollen den Studenten auch die durch das Studium entstandenen Schulden streichen, dass würde das US-Staatsdefizit weiter erhöhen. Und auch neue Regulierungen für den Energiesektor stehen im Raum, oder eine Verstaatlichung des Gesundheitswesens und strengere Regeln für Banken. Es stellen sich viele Fragen, und das macht Investoren nervös. Die Pläne der Demokraten würden viele Faktoren infrage stellen, die die Märkte bisher befeuert haben.
Wie hat sich State Street auf den Handelskonflikt eingestellt?
Unsere Anlagestrategen haben jeden Konzern nach dem Gesichtspunkt durchleuchtet, wie stark ihn die neuen Zölle belastet. Und dann entschieden, ob sie weiterhin auf die jeweiligen Unternehmen setzen sollen. Wir haben überdies unser Engagement in Schwellenländern verkleinert, weil wir glauben, dass der Konflikt China derzeit stärker schadet. Dies wiederum wirkt sich auf eine Reihe asiatischer Schwellenländer aus.
Aber gerade in Schwellenländern lassen sich derzeit doch besonders attraktive Renditen erzielen?
Langfristig dürften sich Aktien aus Schwellenländern stärker entwickeln als die Titel in den USA und Europa. Aktuell halten wir sie jedoch für wenig attraktiv, obwohl sie tiefer bewertet sind als die US-amerikanischen. Die Unternehmensgewinne fallen seit längerem enttäuschend aus. Wir sehen derzeit von einem grösseren Engagement ab.
Und wie ist Ihre Haltung zu festverzinslichen Anlagen aus Schwellenländern?
Vor allem für europäische Investoren sind die Schuldentitel attraktiv, weil sie eine höhere Rendite abwerfen als jene in Europa. Das sind aufstrebende Länder mit guten Kreditaussichten und unterbewerteten Währungen darunter. Immer mehr dieser Länder verschulden sich in ihren eigenen Währungen, nicht mehr in Dollar. So laufen sie weniger Gefahr, bei einer starken Aufwertung des Dollar Probleme zu bekommen.
USA, Europa und der Rest der Welt: Wo legen Sie nächstes Jahr den Fokus?
Bei den Aktien legen wir den Schwerpunkt auf US-Titel. In den USA zeigen sich die Konsumenten weiterhin kauffreudig, und die Arbeitslosigkeit bleibt sehr tief. Die Steuersenkungen werden im kommenden Jahr immer noch Wirkung zeigen. An zweiter Stelle setzen wir Europa. Die Bewertungen sind attraktiv, und eine Lösung für den Brexit könnte Unternehmen zuversichtlicher stimmen. Dann besteht auch die Chance auf staatliche Wachstumspakete.
Wer wird für mehr staatliche Investitionen sorgen – Deutschland?
Das hätten wir gerne. Die Debatte, ob es nach den Interventionen der Europäischen Zentralbank nun Zeit für staatliche Impulsprogramme ist, läuft bekanntlich in mehreren grossen europäischen Ländern.
Und wie positionieren Sie sich im Rest der Welt?
Schwellenländer und Asien, insbesondere Japan, kommen für uns nächstes Jahr erst an dritter Stelle. Letztes Jahr waren wir gegenüber Japan noch optimistisch gestimmt. Nun aber steigen dort wieder die Steuern, und das Land besitzt aufgrund der Alterung der Bevölkerung ohnehin ein schwaches strukturelles Wachstum.
Ihr CEO nennt in seinen Thesen – frei übersetzt – den Klimawandel das grösste Risiko und zugleich die grösste Chance für Investoren. Wie stellt sich State Street darauf ein?
Wir investieren auf verschiedene Arten. Wenn wir indexieren, also passiv investieren, kaufen wir alle Unternehmen oder Werte, die in einem Index enthalten sind. Wir machen keine Aussage, ob diese Werte klimafreundlich sind.
Würden Sie einen Index anbieten, der eine Kohleförderer enthält?
Wenn wir den Index spiegeln, müssen wir alle Aktien entsprechend ihrem Gewichts innerhalb des Indexes kaufen. Wenn eine Kohleförderer darin enthalten ist, kaufen wir den Titel, dies ist unser Job als Indexanbieter. Wir versuchen, die Unternehmen von innen her zu verändern, wenn wir als Aktionär für oder gegen das Management stimmen.
Sie überlassen es also Ihren Kunden, ob Sie nachhaltig investieren wollen. Halten Sie das für ausreichend?
State Street hat sich den Klimaschutz auf die Fahne geschrieben. Was wir machen ist mehr, als die meisten anderen machen. Wir glauben, dass Aktivismus ein sehr starkes Instrument ist. Das Management schenkt uns Aufmerksamkeit und wir können darauf einwirken. Wir zeigen ihnen auf, dass Konzerne, die den Klimaschutz beachten, bessere Ergebnisse erzielen. Diesen Aktivismus würde ich nicht kleinreden.
Lori Heinel ist stellvertretende globale Anlagechefin bei State Street Global Advisors. Der US-amerikanische Vermögensverwalter gehört zum Finanzkonzern State Street und ist die Nummer drei im Asset Management weltweit hinter Blackrock und Vanguard.
Das Interview erschien zuerst bei HZ mit dem Titel «Eine zweite Amtszeit von Trump würde die Märkte nicht beflügeln».