Die Einnahme der Städte Lyssytschansk und Sjewjerodonezk in Luhansk bedeute, dass 60 Prozent der russischen Streitkräfte im Osten gebunden seien, sagte Olexij Arestowytsch, der führende Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, in einer am Dienstag im Internet verbreiteten Video-Botschaft. Der Erfolg eines ukrainischen Gegenangriffes hänge aber von den Waffenlieferungen des Westens ab. In der Region Donezk, die zusammen mit Luhansk den Donbass im Osten bildet, bezogen die ukrainischen Streitkräfte neue Verteidigungsstellungen. Die dortigen Städte Slowjansk und Kramatorsk lagen unter russischem Beschuss.

Für Russland sei es schwierig, seine Soldaten in den Süden der Ukraine zu verlegen, sagte Selenskyjs Berater Arestowytsch. Die russischen Streitkräfte hätten hohe Verluste erlitten. "Und es gibt keine Kräfte mehr, die aus Russland herangeschafft werden können. Sie haben einen hohen Preis für Sjewjerodonezk und Lyssytschansk bezahlt."

Ein erfolgreicher Gegenangriff auf russische Stellungen im Süden hänge aber auch von den zugesagten westlichen Waffenlieferungen ab, mit denen die Schlagkraft der ukrainischen Streitkräfte erheblich erhöht werden soll, sagte Arestowytsch. "Es kommt darauf an, wie schnell der Nachschub kommt."

«Der letzte Sieg für Russland auf ukrainischem Territorium»

Präsidentenberater Arestowytsch äusserte sich zuversichtlich, dass nach der Einnahme von Sjewjerodonezk und Lyssytschansk die russischen Truppen keinen Erfolg mehr verbuchen werden. "Das ist der letzte Sieg für Russland auf ukrainischem Territorium", sagte er. "Das waren Städte mittlerer Grösse. Und es hat vom 4. April bis zum 4. Juli gedauert - das sind 90 Tage. So viele Verluste ..."

Diese haben beide Seiten im Zermürbungskampf um die Zwillingsstädte erlitten. Nach der unerbittlichen Bombardierung durch das russische Militär liegen Sjewjerodonezk und Lyssytschansk in Trümmern. "Die Stadt existiert nicht mehr", berichtete Nina, eine junge Mutter, die aus Lyssytschansk geflohen ist, um in Dnipro im Zentrum des Landes Zuflucht zu suchen.

Gouverneur: «Kein Ort in Donezk ohne Beschuss»

Die russischen Truppen wenden sich nach der Einnahme von Luhansk nun der Nachbarregion Donezk zu, wo die ukrainischen Streitkräfte noch immer grosse Städte kontrollieren. In Donezk wurden nach Angaben des Gouverneurs Pawlo Kyrylenko in der Nacht zu Dienstag die Städte Slowjansk und Kramatorsk beschossen. "Sie sind jetzt auch die Hauptangriffslinie des Feindes", sagt er. "In der Region Donezk gibt es keinen sicheren Ort ohne Beschuss."

Seit Beginn der russischen Invasion des Nachbarlandes am 24. Februar hat die Führung in Moskau wiederholt gefordert, dass die Ukraine Luhansk und Donezk an die pro-russischen Separatisten übergibt. Diese kontrollieren die Gebiete bereits seit 2014 mit russischer Unterstützung weitgehend und haben sie für unabhängig erklärt - was zwar Russland anerkennt, nicht aber die internationale Staatengemeinschaft.

Auch auf den Süden der Ukraine richtete die russische Armee ihre Angriffe. In Mykolajiw seien am Morgen russische Raketen eingeschlagen, berichtete Bürgermeister Olexander Senkewytsch. Mykolajiw liegt an der Hauptstrasse zwischen dem von russischen Truppen besetzten Cherson und der Schwarzmeer-Hafenstadt Odessa.

Die russische Führung bezeichnet die Invasion als militärischen Sondereinsatz, der der Entmilitarisierung des Nachbarlandes und dem Schutz der russisch-sprachigen Bevölkerung vor Nationalisten gelte. Die Ukraine und westlich orientierte Staaten sprechen von einem nicht provoziertem Angriff.

(Reuters)