Die Kryptowährungen haben noch schlimmere Monate hinter sich als die Aktienmärkte. Der Bitcoin ist von einem Rekordstand von 69'000 Dollar Mitte November auf zeitweise unter 26'000 Dollar Mitte Mai gefallen. Noch mehr zu reden als die Bitcoin-Schwäche gab aber das Debakel rund um den Stablecoin Terra USD. Der Kurs der Kryptowährung, der wegen seiner angeblichen Dollarbindung eigentlich stabil hätte sein sollen, brach Mitte Mai innerhalb von nur einer Woche um mehr als 90 Prozent ein. 

Einen bringt das nicht aus der Fassung: Thomas Mayer. "Ich bin strukturell positiv für Kryptowährungen. Sie sind etwas ähnliches wie die Einführung des Papiergeldes vor einigen hundert Jahren", sagt Mayer im cash-Video-Interview am Rand des Institutional Money Kongresses in Wiesbaden von letzter Woche. Mayer (68) ist kein Lobbyist eines gehypten Krypto-Valleys oder Marketing-Abgesandter eines Blockchain-Hubs. Er ist einer der bekanntesten Volkswirtschaftler Deutschlands, ehemaliger Chefökonom der Deutschen Bank und Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute, einer Denkfabrik des gleichnamigen Kölner Vermögensverwalters.

"Momentan sind die Kryptowährungen noch im Flegelalter, da geht es rauf und runter", erklärt er die heftigen Schwankungen der Cyberdevisen. Mayer spricht von einem "Aussortierungsprozess", der momentan stattfinde, und man sehe noch nicht, welche Währung und welche Technologie sich durchsetzen werde. Kryptowährungen seien neue Zahlungstechniken, die wird sich durchsetzen würden, ist Mayer überzeugt. 

Kryptowährungen und Tech-Aktien hatten in den letzten Monaten tatsächlich eine auffällige Korrelation - was denjenigen Skeptikern Rückenwind verlieh, die behaupten, beim Bitcoin handle es sich wegen seiner mengenmässigen Begrenztheit nicht, wie oft dargestellt, um eine von anderen Assets unabhängige Anlageklasse.  

Mayers Überzeugung für Kryptowährungen darf nicht überraschen vor dem Hintergrund, dass er ein jahrelanger Kritiker der lockeren Geldpolitik der Zentralbanken und auch des Euro ist. Mayer sieht das traditionelle Geld-System zum Scheitern verurteilt. Kryptowährungen wie Bitcoin seien politikfern und daher so etwas wie Gold, sagte er einmal. Mayer gilt als Sympathisant der liberal ausgerichteten "Österreichischen Schule", eine Richtung der Volkswirtschaftslehre, die für eine Begrenzung der Geldmenge einsteht.

«Ja, ich bin pessimistisch»

"Ja, ich bin pessimistisch, was das gegenwärtige Geldsystem angeht", sagt Mayer, der seine Sicht zum Thema auch in seinem letzten Buch "Das Inflationsgespenst: Eine Weltgeschichte von Geld und Wert" darlegt. "Dieses Geldsystem kam 1971 in die Welt, als der damalige US-Präsident Richard Nixon die Dollar-Anbindung an das Gold loslöste", sagt Mayer im cash-Video weiter. Das neue Geldsystem sei dann in den 1970er Jahren bereits in grosse Schwierigkeiten geraten. Es waren Jahre der Inflation und Stagnation, worauf sich der Begriff der Stagflation entwickelte. 

Mayer sieht nun seit den "2020ern" erneut eine Phase der Stagflation. Eine Lösung wie in den 1970er Jahren, als der damalige Fed-Chef Paul Volcker die Leitzinsen in den USA auf 20 Prozent setze, um die Inflation zu bekämpfen, sieht Mayer heute nicht: "Wir haben heute keine Kraft dazu. So hohe Zinssätze könnte heute niemand mehr verkraften." Zum Vergleich: Die US-Notenbank erhöhte ihren Leitzins jüngst um 0,5 Prozentpunkte. Damit liegt der Zinssatz nun in der Spanne von 0,75 bis 1,0 Prozent. Es war die zweite Erhöhung des Leitzinses seit der Corona-Pandemie und die erste um 50 Basispunkte seit 22 Jahren. 

Die Inflationsraten erreichten in den letzten Monaten weltweit Ausmasse wie in den 1970er Jahren oder noch weiter zurück. So stieg die Teuerung in den EU-Staaten im Mai nochmals deutlich an und erreichte 8,1 Prozent. 7,9 Prozent waren es dabei in Deutschland. Damit liegt die Inflationsrate auf dem Rekordniveau vom Winter des Jahres 1973/74. In den USA steht die Teuerung gar bei 8,3 Prozent. 

Notenbanken stehen auf verlorenem Posten

Mayer glaubt nicht, dass es den Notenbanken gelingen wird, die Inflation erfolgreich zu bekämpfen. "Wenn man sich die Geschichte anschaut, dann dauerte es Jahre, bis die Wissenschaft, erstens, Lösungen gefunden hatte und sich, zweitens, auch Geldpolitiker fanden, welche diese Lösungen anwendeten“. Die Zentralbanken seien jetzt erst am Beginn der Lernkurve, um die Stagflation zu stoppen. Dazu braucht es laut Mayer deutlich positive Realzinsen.

"In den 1970er Jahren lag der Leitzins der Bundesbank bei 14 Prozent. Es bräuchte heute also einen Vorschlaghammer" der Zentralbanken, um die Inflation zu bekämpfen, so Mayer. Effektiv würden die Geldpolitiker sich aber eines "Hämmerchens" bedienen. 

Weil die Notenbanken die Inflation nur schleppend bekämpfen werden, sieht Mayer Obligationen in nächster Zeit als "ganz schwierige" Anlageklasse. "Davon sollte man die Finger lassen." Man könne Anleihen zwar handeln, "aber wenn man jeden Tag mit einem kleinen Minus startet, wird es schwierig."

Aktien sind laut Mayer noch immer alternativlos. Grund: Die Unternehmen hätten in Zeiten von Inflation wenigstens die Möglichkeit, die Preise zu erhöhen und somit die Gewinnmargen zu verteidigen. Gold sollte man auf jeden Fall halten. "Solange der Realzins negativ bleibt, hat Gold Rückenwind", ist Mayer überzeugt.