Saudi Aramco ist ein Gigant sondergleichen. Die Bewertung des profitabelsten Unternehmens der Welt liegt bei 1'700 Milliarden US-Dollar, was etwa dem Wert aller Güter und Dienstleistungen entspricht, die jährlich in Kanada produziert werden. Ab Mittwoch sind die ersten Aktien des Erdölkonzerns an der Börse des arabischen Königreiches erhältlich – allerdings gibt Saudi Aramco "nur" Anteilsscheine im Gesamtwert von 25 Milliarden US-Dollar aus.
Womit wir schon beim ersten Problem wären. Eigentlich wollte Saudi-Arabien fünf Prozent des Staatskonzerns an die Börse bringen, was dem Königshaus 100 Milliarden US-Dollar in die Kasse gespült hätte. Doch die Begeisterung von ausländischen Investoren hielt sich in Grenzen.
Deshalb bietet Saudi Aramco nun nur 1,5 Prozent seiner Aktien zum Kauf an und sagt das angedachte Zweitlisting im Ausland ab – eine Mini-Teilprivatisierung also, auch wenn der IPO voraussichtlich der grösste Börsengang der Geschichte werden wird. Investoren haben eine ganze Reihe guter Gründe, warum sie den Ölgiganten verschmähen.
1. Geopolitische Risiken
Dass es schlagkräftige Akteure gibt, die Saudi-Arabien feindlich gesinnt sind, zeigte zuletzt ein Raketenangriff Mitte September. Welches Ziel die Angreifer wählten, um dem Königreich so richtig weh zu tun? Saudi Aramco.
Durch den Beschuss von zwei wichtigen Förderanlagen des Staatskonzerns brach die saudische Erdölproduktion kurzfristig um rund die Hälfte ein. Ein herber Schlag für das Königreich, das mehr als zwei Drittel seines Budgets durch die Ölproduktion deckt.
Vorsichtigen Anlegern ist bewusst, dass Saudi Aramco offenbar eine attraktive Zielscheibe sein könnte. Schliesslich macht sich das Königreich unter anderem mit seiner Verstrickung in den Krieg im Nachbarland Jemen viele Feinde. Dazu kommt der jahrzehntalte Konflikt um die regionale Vorherrschaft mit dem Iran.
2. Wachstum nicht in Sicht
Die Ölförderung von Saudi Aramco liegt seit 2014 konstant bei rund 10 Millionen Barrel pro Tag. Das Unternehmen ist damit nur zu 90 Prozent ausgelastet, darf seine Kapazität aber wegen der Limitierung der Fördermenge durch die OPEC nicht hochfahren. Im ersten Halbjahr 2019 ging der Gewinn um 11,5 Prozent zurück.
3. Der König behält die Fäden in der Hand
Bei Saudi Aramco hat nicht die Geschäftsleitung, sondern der König das letzte Wort. Schliesslich ist der Börsengang Teil des Finanzierungsplans, mit dem der Monarch sein Land aus der Ölabhängigkeit führen will. In der langwierigen Vorbereitung auf den Börsengang hat König Salman den Steuersatz von Aramco von 80 auf etwa 50 Prozent gesenkt, so dass das Unternehmen Dividenden ausschütten kann. Gerät der Staatshaushalt in Schieflage, könnte diese Dividende mit einem königlichen Dekret gekürzt werden.
Dass das Königshaus mit harter Hand regiert, ist auch in Kreisen reicher Geschäftsleuten ein offenes Geheimnis. 2017 liess der berüchtigte Kronprinz Mohammed bin Salman dutzende saudische Milliardäre unter Korruptionsverdacht in einem Luxushotel festsetzen – darunter weltbekannte Investoren wie Prinz Alwaleed bin Talal, der von der "New York Times" einst als Warren Buffett der arabischen Welt bezeichnet wurde. Laut Gerüchten presste Kronprinz bin Salman 100 Milliarden Dollar aus den schwerreichen Gefangenen.
Saudi-Arabien wird immer wieder schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen angeklagt. Enthauptungen nach unfairen Gerichtsverfahren, Folter im Gefängnisalltag, systematische Diskriminierung von Frauen und religiösen Minderheiten – es gibt einiges, was das Königshaus mit seiner gutbezahlten PR-Maschine lieber unter den Teppich kehren würde.
Über die Hälfte des weltweiten Erdölverbrauchs fällt heute auf den Transportsektor. Doch Fahrzeuge werden immer verbrauchsärmer. Investoren sollten sich also nicht davon beeindrucken lassen, dass Saudi Aramco noch auf Ölreserven von bis zu 300 Milliarden Barrel sitzt. Gefördert werden nämlich nur etwa 4 Milliarden pro Jahr. In fünfzig Jahren wird also voraussichtlich immer noch viel Öl im saudischen Boden lagern. Ob es dann immer noch als begehrtes "schwarzes Gold" gehandelt wird, ist eine andere Frage.