Statt über den Mangel an Impfstoff steht nun in Ländern wie Schweden, Frankreich oder Deutschland die Debatte im Vordergrund, ob man den Impfstoff überhaupt nehmen sollte. Es gibt vereinzelte Berichte, dass Pflege- und Klinikpersonal eine Impfung ablehnt. Die Verantwortlichen in Bund und Ländern reagieren überrascht - und mit entschiedenen Dementis. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn warnt, dass man sich nun nicht in eine Zweifler-Haltung hineinreden sollte. Und die Gesundheitsministerien in Ländern wie Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg widersprechen vehement dem Eindruck, dass aus dem begehrten Impfstoff nun ein Ladenhüter geworden sei.

Aus dem Mangel wird Überfluss

Dabei hatte der Impfstoff des britisch-schwedischen Konzern schon vorher die Frage durcheinandergewirbelt, "wer wann wo und mit was" geimpft werden soll. Denn die Ständige Impfkommission (Stiko) hatte den AstraZeneca-Impfstoff nur für Personen bis zu 64 Jahren empfohlen. Also musste die vor allem auf das Alter fixierte Prioritätenliste umgehend ergänzt werden: Nun rutschen unter 65-Jährige wie etwa Pflegepersonal mit in die Höchstpriorität, wenn sie AstraZeneca akzeptieren. Zudem wollen Bund und Länder mit Blick auf die anstehenden Schulöffnungen auch Grundschullehrer und Erzieher früher impfen - eine genaue Klärung gibt es aber noch nicht.

In Regierungskreisen wird zudem vermutet, dass der Vergleich der Wirksamkeit - angeblich rund 70 Prozent bei AstraZeneca gegen mehr als 90 Prozent bei BioNTech die Psychologie der Debatte verändert: Plötzlich werden Bürger wählerischer. Die Gesundheitsministerien in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen weisen aber Medienberichte über eine angebliche Impfskepsis bei Klinikpersonal klar zurück und bezeichnen sie als Einzelfälle. "Uns liegen bisher keine Rückmeldungen vor, wonach die Menschen Vorbehalte zum Impfstoff AstraZeneca haben", sagte ein Sprecher in Stuttgart.

Ähnlich äusserte sich das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium. "Dies scheint sich nicht zu bestätigen. Das zeigen Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO)", sagte ein Sprecher. "Im Zeitraum zwischen dem 10. und 15. Februar sind beim Impfstoff AstraZeneca rund 600 Impftermine nicht wahrgenommen worden. Bei rund 18'100 geplanten Impfungen mit AstraZeneca ergibt das eine Quote von rund 3,4 Prozent." Das sei wenig.

Dennoch kämpft die Politik vorsorglich um Vertrauen, weil der Impfstoff an die Frau und den Mann gebracht werden soll. Spahn betonte, er würde sich sofort mit AstraZeneca impfen lassen und warnte davor, dass sich Deutschland nicht in eine Zweifler-Debatte hineinreden lasse dürfe. Im übrigen würden in der öffentlichen Debatte völlig normale vorübergehende Impfwirkungen wie Fieber oder Übelkeit direkt nach der Impfung mit Nebenwirkungen verwechselt. Das Gesundheitsministerium in Baden-Württemberg betont ausdrücklich, "dass der Impfstoff von AstraZeneca genauso geeignet ist, die Pandemie zu bekämpfen wie die beiden anderen Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna".

Genährt wurden die Zweifel allerdings von Zahlen, die Spahn selbst am Mittwoch verbreitet hatte. So habe der Bund 740'000 Impfdosen von AstraZeneca an die Länder übergeben, verimpft worden seien gerade einmal 90'000. Das klingt, als ob der Impfstoff ein Ladenhüter sei. "Aber das ist Unsinn", betont ein Sprecher in Stuttgart. Die Differenz erkläre sich damit, dass man den Impfstoff seit Anfang der Woche statt in Impfzentren an Krankenhäuser ausliefere. Dort müsse sich die Impfkampagne erst einspielen. Ausserdem werde die Zahl der Impfungen zunächst an die Impfzentren gemeldet - und von da dann an das Robert-Koch-Institut. Die Impfdaten mit AstraZeneca hingen also immer zeitlich etwas hinterher.

Gibt es bald eine Auswahl an Impfstoffen?

Auch die nun stetig steigende Lieferung an Impfdosen verändert die Debatte. Bis Ende kommender Woche werde der Bund nun zehn Millionen Impfdosen an die 16 Bundesländer übergeben haben - Tendenz schnell steigend, sagt Spahn. Sowohl der Gesundheitsminister, Kanzlerin Merkel als auch Vizekanzler Olaf Scholz fordern nun, dass die Länder ihre Impfzentren schnell darauf vorbereiten müssten, viel höhere Zahlen an Patienten pro Tag zu impfen. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) spricht davon, dass die Kapazität bis Ende März von 200'000 auf 300'000 Impfungen pro Tag ausgeweitet werden müsse. Dazu kommen Impfungen über die 50'000 Hausärzte. Spätestens im Juni sollten eine Million Impfungen pro Tag möglich sein. Nun drängt die Politik auf Tempo.

Mit der Masse an Impfstoffen und möglicherweise weiteren Zulassungen wird dann auch eine Wahlmöglichkeit der Patienten entstehen, die es derzeit angesichts des Mangels nicht gibt. "Grundsätzlich steht es jedem frei, das Impfangebot wahrzunehmen und eventuell auf zu einem späteren Zeitpunkt zur Verfügung stehende Impfstoff zu warten, wenn dieser ausreichend zur Verfügung steht", heisst es etwa im nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium.

(Reuters)