Sie sind bald 57 Jahre alt und Experte für Finanzplanung, insbesondere auch im Hinblick auf eine Frühpensionierung. Ist für Sie selbst eine Frühpension eine Option?

Roger Gabathuler: Ja, auch ich überlege mir eine Frühpensionierung; ein Entscheid dazu ist aber noch nicht gefallen. Im Moment geht es mir viel mehr darum, alle Schritte so vorzubereiten, dass ich eine Frühpensionierung realisieren kann, wenn ich dies künftig wirklich möchte.

Banker verdienen überdurchschnittlich. Wie sieht es für Durchschnittsverdienende aus? Haben sie auch eine Chance auf eine finanzierbare Frühpensionierung? Welches Minimaleinkommen ist erforderlich, um den Lebensstil beispielsweise bei einer um zwei Jahre vorgezogenen Pensionierung beizubehalten?

Entscheidend ist, wie viel ich langfristig regelmässig sparen kann, um im Alter mein Leben zu finanzieren, soweit das Renteneinkommen dazu nicht ausreicht. Das sieht für eine alleinstehende Person völlig anders aus als für eine Familie mit Kindern, die vielleicht einmal studieren möchten. Zudem unterscheiden sich die Lebenshaltungskosten beispielsweise auf dem Land und in der Stadt sehr stark, zum Beispiel beim Wohnen. Aber es stimmt: Unter einem Monatseinkommen von 6000 Franken für eine Einzelperson oder 8000 Franken für eine Familie mit Kindern wird es sehr schwierig, genügend zusätzliches Alterskapital anzusparen, um sich eine Frühpensionierung leisten zu können. Ausnahme: Wenn diese Leute rechtzeitig eine Erbschaft antreten können.

Worauf muss ich bei der ersten Säule, der AHV, im Hinblick auf eine Frühpensionierung speziell achten?

Wichtig ist, dass keine AHV-Lücken bestehen, denn sonst wird die AHV spürbar gekürzt – und dies das ganze Leben lang. Sollte doch einmal eine Lücke entstehen, beispielsweise wegen eines längeren Auslandaufenthalts, sollte man das Loch unbedingt in den darauffolgenden fünf Jahren stopfen. Denn nur so lange ist das zulässig. Weiter muss man sich bewusst sein, dass auch bei einer Frühpensionierung noch AHV-Beiträge bis zum ordentlichen Pensionierungsalter geschuldet sind, für Frauen heute also bis zum vollendeten 64. Lebensjahr, bei Männern bis 65. Die Beiträge für AHV-Pflichtige ohne Erwerbseinkommen errechnen sich aus dem Renteneinkommen und aus dem Vermögen und fallen stark progressiv aus.

Lohnt es sich, die AHV vorzubeziehen?

Auch ein AHV-Vorbezug ist mit einer lebenslangen, empfindlichen Rentenkürzung verbunden. Bei den maximal zulässigen zwei Jahren sind es pro Jahr 6,8 Prozent, also total 13,6 Prozent. Ausser wenn jemand aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit mit einer verkürzten Lebenserwartung rechnen muss, würde ich darum von einem Vorbezug eher abraten.

Wie sieht es bei der zweiten Säule, der Pensionskasse, aus?

Der freiwillige Einkauf in die PK kann vor allem aus steuerlichen Gründen attraktiv sein, weil er direkt vom steuerbaren Einkommen in Abzug geht. Ein späterer Kapitalbezug erfolgt getrennt vom übrigen Einkommen zu einem Vorzugssatz. Aber man muss sich bewusst sein, dass das Kapital in der Regel bis zur Pensionierung gebunden ist. Nur in genau definierten Ausnahmefällen, etwa für die Finanzierung von selbst genutztem Wohneigentum, ist ein Vorbezug möglich. Zudem lohnt sich ein Einkauf nur, wenn die Pensionskasse wirklich gesund ist, sonst besteht die Gefahr, dass man einen Teil des Geldes bei einer Sanierung verliert.

Gibt es Einkaufsbeschränkungen?

Der Einkauf ist nur zulässig, soweit eine Vorsorgelücke besteht. Ob dies der Fall ist, steht im jährlichen Pensionskassenausweis. Und auch die zuständige PK gibt Auskunft dazu. Im Weiteren sollte man beachten, dass ein Einkauf in den letzten drei Jahren vor der Pensionierung nur noch zulässig ist, wenn man eine Rente bezieht. Wer sein Geld als Kapital beziehen möchte, verliert den Steuervorteil auf die Einkäufe, die in die Sperrfrist gefallen sind. Vor allem, wenn man sich kurzfristig zu einer Frühpensionierung entschliesst, kann es mit der Sperrfrist Probleme geben. Als Ergänzung oder Alternative zum Einkauf bieten heute viele Pensionskassen die Möglichkeit, den Sparplan freiwillig zu erhöhen. So kann man die Einschränkungen, die mit einem Einkauf verbunden sind, teilweise umgehen.

AHV und Pensionskasse allein reichen in aller Regel nicht, um eine Frühpensionierung zu finanzieren. Es fehlen Beitragsjahre sowie Zins und Zinseszins auf die letzten Jahre. Es braucht also Mittel aus der privaten Vorsorge. Welche Sparmöglichkeiten bieten sich da an?

Im Vordergrund steht die steuerbegünstigte Säule 3a. Traditionelle 3a-Konten werfen aber praktisch keinen Zins ab. Es bieten sich also Wertschriftenkonten an, die einen wählbar grossen Aktienanteil aufweisen. Langfristig versprechen sie eine deutlich bessere Rendite. Als Kurzfristanlage eignen sie sich dagegen nicht, weil Wertschriftenanlagen recht volatil sein können. Wer es sich leisten kann, kann darüber hinaus selbst mit Aktien für sein Alter sparen. Dafür eignen sich insbesondere Fondssparpläne, weil sie breit diversifiziert sind und die regelmässigen Zukäufe einen guten Durchschnittskurs ergeben.

Soll ich mein ganzes Vermögen in die Vorsorge investieren?

Nein, es braucht jederzeit ein Liquiditätspolster für unerwartete Ausgaben. Als grober Richtwert sollte es etwa den Lebenshaltungskosten von sechs Monaten entsprechen. Benötigt eine Familie also beispielsweise 100'000 Franken pro Jahr zum Leben, so sollte sie etwa 50'000 Franken an Liquidität halten.

Viele möchten gar nicht von einem Tag auf den andern vollständig aus dem Berufsleben aussteigen. Vielmehr würden sie einen fliessenden, flexiblen Übergang ins Rentenalter vorziehen. Sie möchten das Pensum reduzieren und dafür in Teilzeit über das ordentliche Pensionierungsalter hinaus weiterarbeiten. Worauf ist in diesem Fall zu achten?

Das ist tatsächlich ein oft geäusserter Wunsch. Voraussetzung ist allerdings, dass der Arbeitgeber damit einverstanden ist. Das ist zwar immer häufiger der Fall, jedoch bei weitem noch nicht immer. Das sinkende Einkommen kann man gegebenenfalls mit einem Teilbezug aus der Pensionskasse kompensieren. Wer es sich leisten kann, sollte seinen Vorsorgebeitrag aber besser auf der alten Höhe belassen und die Differenz selbst tragen. So profitiert man künftig von einem höheren Umwandlungssatz. Man sollte allerdings prüfen, ob die Vorsorgestiftung nicht demnächst den Umwandlungssatz senken will. In einem solchen Fall würde sich der Aufschub vielleicht nicht lohnen. Trotz Pensenreduktion oder Teilpensionierung darf man weiterhin den vollen Betrag für BVG-Versicherte in die Säule 3a einzahlen.

Eine Frühpensionierung scheint anspruchsvoll zu sein. Wann sollte man sich spätestens mit der Frage befassen, wenn man sie in Betracht zieht?

Erste Überlegungen sollte man sich mit 45 bis 50 Jahren machen. So bleibt noch genügend Zeit, um eine allfällige Vorsorgelücke mit zusätzlichen Sparbemühungen zu decken. Als grobe Regel darf man davon ausgehen, dass jedes Jahr Frühpensionierung ungefähr einem Jahresverdienst entspricht. Das heisst nicht zwingend, dass man so viel ansparen muss. Aber ein Teil davon wird normalerweise erforderlich sein, wenn man sich im Alter nicht allzu stark einschränken will oder man nicht eine grössere Erbschaft antreten kann.

Dieses Interview erschien zuerst im Digitalangebot der "Handelszeitung" unter dem Titel: Frühpensionierung: "Es kostet einen Jahreslohn"