Nur noch die Schweizerische Nationalbank (SNB) erzeugt elektronisches Geld, Geschäftsbanken werden wieder zu reinen Finanzintermediären degradiert, die Kredite nur noch mit Geldern vergeben können, welche zu 100 Prozent von der SNB gedeckt sind. Mit dieser Forderung will ein privates Initiativkomitee die gängige Geldpolitik in der Schweiz auf den Kopf stellen.

Doch die Idee kommt in der breiten Bevölkerung bisher noch nicht so recht an: Seit dem Start der Vollgeldinitiative im Juni 2014 sind bislang 58'100 Unterschriften eingegangen (Stand 08.05.2015). Es verbleiben nur noch knapp sieben Monate, die restlichen 41'900 Unterschriften zu sammeln.

Von cash angefragt, bestätigt Raffael Wüthrich vom Initiativkomitee, dass die Unterschriftensammlung im Herbst und Winter noch eher schleppend verlief. In den letzten zwei Monaten habe man jedoch deutlich zulegen können und in beiden Monaten je ungefähr 10'000 Unterschriften hereingeholt.

Für Claudio Kuster, Politkenner und Co-Initiant der eidg. Volksinitiative «gegen die Abzockerei», ist jedoch genau die Startphase für Initiativen sehr wichtig. "Der Unterschriftenertrag ist zu Beginn der Sammlung meistens besser, weil dann die Motivation, die Geldreserven, das mediale Interesse undsoweiter noch frisch sind. Gegen Ende wird es eher zäher". Deshalb dürfte das Zustandekommen der Initiative laut Kuster schwierig werden. 

Das erstaunt: Vor drei Wochen outeten sich in einer cash-Umfrage 72 Prozent der Teilnehmenden als Befürworter der Vollgeld-Initiative. Ein Ergebnis, welches in diesem klaren Ausmass überraschend war. Wieso soll also eine Vorlage, die von einer klare Mehrheit der cash-Leser befürwortet wird und auch sonst auf ein buntes Trüppchen von Sympathisanten zählen kann, scheitern? Hier mögliche Gründe:

1.) Das Thema ist zu abstrakt und sehr komplex

Die Vollgeld-Initiative konzentriert sich auf ein "Problem", das für viele Schweizerinnen und Schweizer in ihrem Alltag gar keines ist. Wer beschäftigt sich im täglichen Leben mit der Geldschöpfung der Banken? Neben dem fehlenden Alltagsbezug ist das Thema für einen Laien auf Anhieb auch nur schwer verständlich. Raffael Wüthrich vom Initiativkomitee gibt zu, dass das Thema "vielschichtig" sei. Aber deswegen sei das Thema nicht weniger wichtig als einfachere Themen. "Es ist wichtig, dass sich die Leute vertieft mit dem Geldsystem auseinandersetzen, damit eine demokratische Entscheidung gefällt werden kann", so Wüthrich.

2.) Das Vollgeldsystem wurde in der Praxis noch nicht getestet

Den Geschäftsbanken Macht entziehen, um gleichzeitig das Finanzsystem sicherer zu machen, klingt auf den ersten Blick sehr verlockend. Doch: Niemand weiss, wie sich die geldpolitische Neuausrichtung tatsächlich auf die Finanzmärkte auswirken wird. Island erwägt zwar die Einführung (cash berichtete) des Vollgeldsystems, aber umgesetzt wurde noch nichts. Die Schweiz wäre ein weltweiter Vorreiter. 

3.) Die Konkurrenz an politischen Themen ist gross

In den letzten Jahren wurden Wähler einer regelrechten Initiativflut ausgesetzt. Die Anzahl an Initiativen bewegt sich auf Rekordniveau. Viele andere Themen stehen auf der politischen Agenda, ausserdem ist 2015 ein Wahljahr. Da könnte eine intensive Auseinandersetzung mit der komplexen Vollgeldthematik zu kurz kommen.

4.) Die Unterstützung politischer Parteien fehlt

Initiative-Befürworter sind bekannte Personen wie der Kabarettist Emil oder der grüne Politiker Geri Müller. Auch cash-Kolumnist und Wirtschaftsprofessor Prof. Helmut Dietl von der Universität Zürich lobte in einer cash-Kolumne bereits vor über einem Jahr die Vorteile eines Vollgeld-Systems. Die Pro-Fraktion kann also auf Support aus den unterschiedlichsten Sparten zählen. Jedoch steht keine Partei ganzheitlich hinter dem Anliegen. Dieser mangelnde Support durch eine politische Partei könnte sich als Manko für die Initiative herausstellen.

5.) Schweizer Wähler scheuen grosse Risiken

Wähler könnten bei der Initiative das wirtschaftliche Risiko scheuen. Denn "Wähler gehen nur ein Risiko ein, wenn das wirtschaftliche und politische Risiko bei Annahme der Volksinitiative klein ist", meint Claudio Kuster. Dies sei zum Beispiel bei der Zweitwohnungs-, Abzocker-  und Minarett-Initiative so gewesen. Es gäbe jedoch auch Ausnahmefälle, wo das Risiko zwar durchaus gegeben sei, der wahrgenommene Problemdruck jedoch so stark erscheine, dass auch Risiken in Kauf genommen würden. Die Masseneinwanderungsinitiatiave ist ein Beispiel hierfür. 

6.) Die Finanzlobby ist zu stark

Die Schweizer Wirtschaft ist stark von ihrer Finanzindustrie abhängig. Die Banken haben so im Verlaufe der Jahrzehnte eine Vormachtstellung erlangt, welche sie nicht einbüssen wollen. Schon länger gibt es in Bern eine starke Finanzlobby, welche der Politik (oftmals erfolgreich) einen bankenfreundlichen Kurs vorgibt. Bei einem möglichen Abstimmungskampf würde bei Politikern mächtig lobbyiert und hohe finanzielle Mittel würden eingesetzt werden, um die Initiative zu bekämpfen. Das eher bescheidene Budget des Initiativ-Komitees hätte Mühe, dagegen bestehen zu können. Handkehrum darf man nicht vergessen, dass die Wähler die Banken- und Finanzkrise nicht vergessen haben und in Vergangenheit schon mal die Gelegenheit genutzt haben, der Finanzindustrie an der Urne eins auszuwischen.

Das Vollgeld-Initativkomitee nimmt den Endspurt so in Angriff: Für diesen Sommer sind Unterschriftensammlungen an zahlreichen Grossveranstaltungen geplant, da man dort "zwei- bis dreimal so schnell" Unterschriften sammeln könne als sonst, wie auf der Homepage zur Vollgeldinitiative zu entnehmen ist. "Wir gehen davon aus, dass wir die benötigten Unterschriften für die Initiative zusammenbekommen", sagt Raffael Wüthrich zuversichtlich.