Der Wirecard-Aufsichtsrat hatte Freis im Frühjahr 2020 in den Vorstand berufen. Eigentlich sollte der Jurist seinen Posten am 1. Juli antreten und für Rechtstreue zuständig sein. Weil sich die Anzeichen für Bilanzmanipulation jedoch schnell verdichteten, hatte Freis seinen neuen Job dann schon vorzeitig am 18. Juni angetreten. Einen Tag später trat Braun zurück, Freis wurde so innerhalb eines Tages zum Vorstandsvorsitzenden. Wenige Tage später folgte unter Freis' Regie das Eingeständnis, dass die 1,9 Milliarden nicht auffindbar waren, und schliesslich die Insolvenz.

Nach Freis' Worten hatte Braun noch am 18. Juni bekundet, dass das Geld sehr wahrscheinlich existiere. Freis liess sich als eine seiner ersten Amtshandlungen die Bankbestätigungen der zwei philippinischen Banken vorlegen, auf denen das Geld angeblich lagerte.

Laut Freis' Zeugenaussage gab es mehrere offensichtliche Merkwürdigkeiten: Demnach hatte Wirecard nie Gebühren oder Verwahrzinsen für die Konten gezahlt, die meisten Beträge waren glatt. "Das war wirtschaftlich unvorstellbar." Auf einem der Konten war zudem eine Handy-Überweisung von 400 Millionen Euro verbucht. Dass eine derartige Summe per Mobiltelefon überwiesen werde, habe er noch nie gehört, sagte Freis.

Der Manager ist Fachmann für Wirtschaftsverbrechen, ehedem war der Manager als leitender Beamte im US-Finanzministerium für die Bekämpfung von Geldwäsche und Finanzkriminalität zuständig. Nach der Pleite Ende Juni 2020 übernahm der Insolvenzverwalter das Ruder.

Im grössten Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte sind Freis' Vorgänger Braun und zwei weitere frühere Wirecard-Manager wegen des Verdachts des gewerbsmässigen Bandenbetrugs angeklagt. Laut Anklage sollen sie seit 2015 die Wirecard-Bilanzen gefälscht und kreditgebende Banken um 3,1 Milliarden Euro geschädigt haben./cho/DP/mis

(AWP)