Die Regierung habe durch spärliches Testen die Fallzahlen lange kleingehalten und zu spät und zu wenig Massnahmen gegen die Ausbreitung angeordnet, kritisieren Mediziner und internationale Beobachter. Seit dem 24. März ist klar, dass die Olympischen Spiele in Tokio verschoben werden. Und seither ist die Kurve der Corona-Fälle in Japan steil gestiegen. Experten drängen die Regierung verstärkt zum Handeln. Vertreter des Medizinerverbands warnen schon länger vor einem "explosiven Anstieg" bei den Infektionen.

Am Freitag wurden 634 neue Sars-CoV-2-Fälle in Japan bestätigt, ein neuer Rekordanstieg, den vierten Tag in Folge. Aktuell liegt die Gesamtzahl erfasster Infizierter laut der Nachrichtenagentur Kyodo bei 6885. Mehr als 130 Menschen sind an der Lungenkrankheit Covid-19 gestorben. Aber bislang würden in Japan Personen mit keinen oder milden Symptomen nicht getestet, merkte der oppositionelle Abgehordnete Hiroshi Kawauchi in dieser Woche an.

Laut einer Studie der Oxford-Universität liegt die Zahl der Tests auf 1000 Einwohner in Japan bei 0,57. In Deutschland beträgt sie 15,97, in Südkorea 9,77. Überhaupt bilden die Zahlen im Nachbarland, das anfangs nach China am stärksten vom Virus betroffen war, einen Kontrast zu Japan. Dort meldeten die Behörden am Freitag nur noch 30 Neuinfektionen, bei einer Gesamtzahl von 10'480 Infizierten. "Die Entscheidung der japanischen Regierung, nicht breit zu testen, macht es schwer, die Verbreitungsrate von Covid-19 akkurat zu erschliessen", kritisierte Anfang April auch die US-Botschaft in Tokio.

Nicht nur die geringe Testrate, auch die bisherigen Massnahmen zur Eindämmung der Epidemie stehen in der Kritik. Erst Dienstag hatte Abe den Notstand für den besonders betroffenen Grossraum Tokio sowie einzelne Provinzen ausgerufen. Von einem landesweiten "Lockdown" war keine Rede. Die Situation in Japans grossen Städten unterscheide sich "komplett" von jener in den abgeriegelten Städten im Ausland, hiess es. Auch gibt es keine strengen Auflagen für die Bevölkerung. Entsprechend strömen weiter Millionen Pendler zur Arbeit, wenn auch mit Masken im Gesicht in etwas weniger gefüllten Zügen.

Von den regionalen Entscheidungsträgern wird das als nicht weitreichend genug empfunden. Die Präfekturen Aichi und Kyoto baten die Regierung darum, auch in den Notstandsbereich einbezogen zu werden. Aichi und die Präfektur Gifu erklärten schliesslich am Freitag von sich aus den Notstand für ihre Region.

(AWP)