“Kapitalhungrige” Frischlinge wie Rivian Automotive und Lucid Group machen weiterhin hohe Verluste bei jedem verkauften Fahrzeug, während sie die Produktion langsam hochfahren. Damit steigt für sie das Risiko, dass sie eines Tages die Aktionäre um noch mehr Geld bitten müssen.

Alternativen gibt es und die beiden Newcomer sollten sich den Ansatz des konkurrierenden Elektroauto-Startups Fisker zu Herzen nehmen - die Auslagerung der Produktion an einen Auftragsfertiger hat sich als weniger risikoreich erwiesen, und die Investoren begrüssen die Asset-light-Strategie des Unternehmens.

Die Entscheidung von Rivian und Lucid, das “vertikal integrierte” Konzept von Tesla zu kopieren - sprich die Kerntechnologien selbst zu entwickeln und die Fahrzeuge auch selbst zu bauen - hat zumindest anfangs für Begeisterung bei den Anlegern gesorgt, und ihre Fahrzeuge haben hervorragende Kritiken erhalten. Doch im vergangenen Jahr sind die Verluste in die Höhe geschnellt, weil die Produktion der Fahrzeuge zu teuer war und die Preise nicht ausreichend angehoben werden konnten.

Tesla-Chef Elon Musk warnte schon vor einem Jahr, dass Rivian erschreckend negative Bruttomargen erzielen würde - also das Geld, das nach Abzug der direkten Kosten wie Arbeit, Logistik, Material und Abschreibung der Fabrikanlagen vom Umsatz noch übrig bleibt.

Rivian und Lucid schreiben Milliardenverluste

Musk hat nicht immer Recht, aber in diesem Fall lag er goldrichtig. Die Produktionskosten von Rivian waren 2022 fast dreimal so hoch wie die Einnahmen, was zu einem Bruttoverlust von 3,1 Milliarden Dollar führte, wie aus am Dienstag veröffentlichten Zahlen hervorgeht, während der jährliche Bruttoverlust von Lucid bei 1 Milliarde Dollar lag. Nach Abzug von Forschungs-, Vertriebs- und Verwaltungskosten wiesen die beiden Unternehmen Betriebsverluste von 6,9 Milliarden Dollar bzw. 2,6 Milliarden Dollar aus.

Fairerweise muss man sagen, dass 2022 ein furchtbares Jahr war, um eine neue Autofabrik effizient zum Laufen zu bringen. Teileknappheit und Logistikprobleme verursachten zusätzliche Kosten und brachten zum Teil die Produktionsstrassen zum Stillstand. Gleichzeitig zwang die Inflation beim Komponenteneinkauf die Hersteller zu hohen Abschreibungen auf ihren Lagerbeständen an fertigen oder halbfertigen Automobilen.

Tesla-Produktion in der Gigafactory in Texas.

Tesla-Produktion in der Gigafactory in Texas.

Quelle: imago images / ZUMA Wire

Fabriken, die für die Produktion von Zehntausenden von Fahrzeugen pro Jahr ausgelegt sind, sind äusserst ineffizient, wenn nur ein Bruchteil davon vom Band läuft. Zudem ist ein geringer Absatz für die Liquidität schlimmer als gar nichts zu verkaufen. Niedrige Verkaufszahlen schränken auch die Möglichkeiten der Hersteller ein, mit ihren Zulieferern gute Konditionen auszuhandeln.

In jüngster Zeit haben steigende Zinsen und nachlassende Kundennachfrage es den Herstellern von Elektrofahrzeugen zudem erschwert, diese Ineffizienzen durch Preiserhöhungen auszugleichen und Tesla hat den Druck durch Preissenkungen für seine Fahrzeuge noch weiter erhöht.

Das Ausmass und die Dauer der negativen Bruttomargen übertreffen bei weitem alles, was Tesla in seinen Anfängen erlebt hat - die Bruttomarge sank bei der Einführung der Model S-Limousine im Jahr 2012 kurzzeitig auf minus 17,5 Prozent, erholte sich aber bald wieder. Heute liegen die Bruttomargen bei rund 25 Prozent.

Immerhin stimmt die Richtung bei der Bruttomarge

Die Bruttomargen von Rivian und Lucid gehen zumindest in die richtige Richtung, was zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass aufgrund des höheren Absatzvolumens Arbeits- und andere Fixkosten auf mehr Einheiten verteilt werden können. Zudem sind die Preise für mehrere wichtige Rohstoffe in letzter Zeit gesunken und die Unternehmen beginnen, neue Bestellungen mit besseren Preisen abzuarbeiten. Aber sie verbessern sich nicht schnell genug.

Rivian teilte den Investoren am Dienstag mit, man erwarte nicht, vor 2024 eine positive Bruttomarge zu erzielen. Lucid nennt erst gar keinen Zeitrahmen für die Erzielung positiver Bruttomargen; die Produktionsprognose für 2023 von bis zu 14.000 Fahrzeugen liegt jedoch weit unter dem Niveau, bei dem positive Margen erzielbar sind. Als das Unternehmen 2021 über eine Spac an die Börse ging, prognostizierte Lucid positive Bruttomargen für das folgende Jahr. Beide verfügen gleichwohl über Cash-Polster von mehreren Milliarden Dollar.

Börsengang von Fisker am 9. November 2020 am New York Stock Exchange.

Börsengang von Fisker am 9. November 2020 am New York Stock Exchange.

Quelle: imago images / UPI Photo

Anders sieht es bei Fisker aus. Durch die Auslagerung der Produktion an Magna International glaubt das Startup, im Jahr 2023, seinem ersten vollen Produktionsjahr, mehr als 40.000 Fahrzeuge bauen zu können und dabei Bruttomargen von bis zu 12% zu erzielen, so die am Montag veröffentlichte Prognose. Die überraschende Zuversicht von Fisker liess die Aktien um 30% ansteigen.

Mit einem Liquiditätsbestand von weniger als 750 Millionen Dollar Ende Dezember war Fisker gezwungen, einen “Asset-light-Ansatz” zu verfolgen, und muss noch viel beweisen — das Unternehmen hat bisher nur 56 Fahrzeuge gebaut und muss sie noch für den Verkauf zertifizieren. Aber es scheint klug zu sein, nicht zu versuchen, zu rennen, bevor man laufen kann. “Wir haben keine riesigen Fabriken [und] Milliarden von Dollar an Kosten, die wir verbuchen oder abschreiben müssen”, erinnerte Chief Financial Officer und Mitbegründerin Geeta Gupta-Fisker die Investoren am Montag.

Für Lucid und Rivian ist es zu spät, ihren Kapitalverbrauch zurückzufahren. Schon jetzt baut Rivian ein zweites Werk in Georgia, während Lucid eine weitere Fabrik in Saudi-Arabien errichtet (Mehrheitseigentümer ist der Saudi Public Investment Fund).

Ihre grossen Technologie- und Softwareinvestitionen könnten sich als sinnvoll erweisen, sobald sie expandiert haben — wie bei Tesla geschehen —, aber bis dahin sind sie dazu verdammt, Barmittel zu verbrennen. Die Folge ist ein Aktienkurs, der weit unter dem liegt, was die Anleger bezahlt haben.

(Bloomberg)