Nach Darstellung Putins hat sich die Ukraine mit dem Abbruch der Verhandlungen vor zwei Jahren - kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs - in die Ecke manövriert. Die Gegenseite habe gedacht, Russland könne auf dem Schlachtfeld besiegt werden. Dies habe sich aber als unmöglich herausgestellt. Russland sei zu Verhandlungen bereit, allerdings nicht über Schemen, «die nichts mit der Realität zu tun haben», sagte Putin.
In der neutralen Schweiz soll am 15. und 16. Juni unter anderem auch über die sogenannte Friedensformel des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verhandelt werden. Der hatte einen Rückzug der russischen Truppen aus allen besetzten Gebieten der Ukraine gefordert. Moskau hingegen beharrt auf einem Frieden zu seinen Bedingungen. Das schliesst den Einbehalt der bisherigen Eroberungen, den Verzicht der Ukraine auf einen Nato-Beitritt und eine schlagkräftige Armee ein. Hinzu kommen möglicherweise weitere Forderungen nach Gebietsabtretungen an Russland.
Türkei bereitet offenbar neuen Friedensplan für Ukraine vor
Derweil erhöht sich vor dem Gipfel die Aktivität potenzieller Vermittler für eine Lösung in der Ukraine. Die Türkei will einem Medienbericht zufolge mit einer neuen Friedensinitiative den Krieg in der Ukraine für mehr als ein Jahrzehnt einfrieren. Der Plan, der mit Unterstützung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan lanciert worden sei, liege Kiew und Moskau bereits vor, schrieb die kremlkritische Zeitung «Nowaja Gaseta. Europa» unter Berufung auf eigene Quellen.
Wichtigste Punkte des Dokuments sind demnach: Die USA und Russlands verpflichten sich, unter keinen Umständen Atomwaffen einzusetzen und zum Atomwaffenabrüstungsvertrag New Start zurückzukehren. Der Konflikt in der Ukraine wird auf der derzeitigen Frontlinie eingefroren. 2040 soll dann die Ukraine in einem Referendum über ihren weiteren aussenpolitischen Kurs entscheiden - bis dahin wird sie nicht der Nato beitreten. In den von Russland besetzten Gebieten werden zeitgleich unter internationaler Kontrolle ebenfalls Referenden abgehalten. Die Kriegsparteien tauschen alle Gefangenen gegeneinander aus. Russland widersetzt sich dem EU-Beitritt der Ukraine nicht.
Putin rechtfertigt Beschuss ukrainischer Energieanlagen
Die Annahme des Plans gilt allerdings als unwahrscheinlich. Beide Kriegsparteien setzen weiter auf das Zermürben des Gegners. Beim Treffen mit Lukaschenko rechtfertigte Putin so auch die russische Kriegsführung. Den anhaltenden Beschuss ukrainischer Energieanlagen durch das russische Militär bezeichnete er als nötige Antwort auf Angriffe Kiews. «Leider haben wir eine Reihe von Schlägen gegen unsere Energieobjekte beobachtet in letzter Zeit und waren gezwungen, darauf zu antworten», sagte er. Der russische Beschuss ukrainischer Kraftwerke dient nach Darstellung von Putin einer «Demilitarisierung des Nachbarlands», da sie den Ausstoss der Rüstungsproduktion beeinflussten.
In der Nacht zuvor hatte Russland mit schweren Raketenangriffen mehrere Wärmekraftwerke zerstört und einmal mehr zahlreiche Anlagen und Stromleitungen in der Ukraine beschädigt. Schon kurz nach Kriegsbeginn hat Russland mit diesen Attacken begonnen, die vor allem die ukrainische Zivilbevölkerung treffen.
Ostukrainisches Gebiet Charkiw ordnet Zwangsevakuierung von Kindern an
Die besonders unter russischem Beschuss leidende ostukrainische Region Charkiw hat derweil die Zwangsevakuierung von Familien mit Kindern aus 47 grenznahen Ortschaften angeordnet. Es handele sich um Gemeinden in den drei Landkreisen Bohoduchiw, Isjum und Charkiw, teilte der Militärgouverneur des Gebiets, Oleh Synjehubow, per Telegram mit. Die Gebietshauptstadt sei jedoch davon nicht betroffen. Anlass sei der beinahe tägliche Beschuss der Orte durch die russische Armee. Alle Betroffene erhielten die entsprechende humanitäre und juristische Hilfe, versprach er. Tags zuvor war ein junges Mädchen im knapp zehn Kilometer von der russischen Grenze entfernten Dorf Lypzi im Landkreis Charkiw bei russischem Beschuss getötet worden.
IAEA-Chef sieht steigende Gefahr von Atomunfall im AKW Saporischschja
Die Gefahrenlage im russisch besetzten Kernkraftwerk Saporischschja in der Ukraine verschärfte sich aus Sicht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zuletzt deutlich. Die jüngsten Drohnenangriffe auf die Anlage «haben das Risiko eines Atomunfalls signifikant erhöht», warnte IAEA-Chef Grossi in Wien. In einer Sondersitzung des Gouverneursrates der IAEA forderte er militärische Entscheidungsträger und die Staatengemeinschaft dringend dazu auf, für Deeskalation zu sorgen. Vertreter Kiews und Moskaus gaben sich bei der IAEA-Sitzung erneut gegenseitig die Schuld für die Vorfälle./bal/DP/stk
(AWP)