Der Kanzler will die Vertrauensfrage im Bundestag am 15. Januar stellen. Merz fordert, die Vertrauensfrage «spätestens Anfang nächster Woche» zu stellen, um dann in der zweiten Januarhälfte zu wählen.
Wenn der Kanzler die Vertrauensfrage im Parlament stellt und keine Mehrheit bekommt, wird er den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Dafür hat der Präsident nach Artikel 68 des Grundgesetzes maximal 21 Tage Zeit. Er ist allerdings nicht verpflichtet, dies zu tun. Macht er es, dann muss binnen 60 Tagen gewählt werden.
Vermutlich schwierige Regierungsbildung nach Neuwahl
Wie im Fall einer Neuwahl eine Regierungsbildung aussehen könnte, ist völlig offen. Die Union könnte zwar aktuell damit rechnen, stärkste Kraft zu werden - wer als Koalitionspartner infrage kommt, ist aber unklar. In Umfragen, die vor dem Bruch der Ampel erhoben wurden, hatten die Unionsparteien zuletzt mit Werten über 30 Prozent deutlich vorn gelegen, die Ampel-Parteien standen hingegen deutlich schwächer da als bei der Bundestagswahl 2021. Die SPD lag bei Werten um 15 Prozent, die Grünen um zehn Prozent, die FDP musste demnach sogar um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen. CSU-Chef Markus Söder hat Schwarz-Grün wiederholt kategorisch ausgeschlossen.
Merz: «Wir können es uns einfach nicht leisten»
«Wir können es uns einfach nicht leisten, jetzt über mehrere Monate hin eine Regierung ohne Mehrheit in Deutschland zu haben und anschliessend über weitere Monate einen Wahlkampf zu führen und dann möglicherweise mehrere Wochen Koalitionsverhandlungen zu führen», sagte Merz. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, es wäre eine «Respektlosigkeit gegenüber den Bürgern», wenn die Regierung weiter im Amt bliebe.
Wirtschaft: Jeder Tag mit der Regierung ist ein verlorener Tag
Auch Wirtschaftsvertreter dringen auf eine schnelle Neuwahl. «Jeder weitere Tag mit dieser Bundesregierung ist ein verlorener Tag», sagte der Präsident des Aussenhandelsverbands BGA, Dirk Jandura. Eine schnelle Neuwahl forderten auch der Verband der Automobilindustrie (VDA), der Verband der Chemischen Industrie (VCI) und der Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI).
VDA-Präsidentin Hildegard Müller erklärte, die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, der Wahlsieg von Donald Trump in den USA, offene Handelsfragen mit China und der Zustand des Standorts Deutschland erforderten eine maximal handlungsfähige und Bundesregierung.
Scholz: Tue, was für das Land notwendig ist
Scholz hält an seinem Zeitplan fest. Er werde tun, was für das Land notwendig sei, sagte der SPD-Politiker. «Die Bürgerinnen und Bürger werden bald die Gelegenheit haben, neu zu entscheiden, wie es weitergehen soll.»
Scholz will Merz anbieten, rasch gemeinsam nach Lösungen zur Stärkung der Wirtschaft und der Verteidigung zu suchen. Es gehe um Fragen, «die entscheidend sind für unser Land, konstruktiv zusammenzuarbeiten: bei der schnellen Stärkung unserer Wirtschaft und unserer Verteidigung».
Verkehrsminister Wissing bleibt in der Regierung - und verlässt die FDP
Bundesverkehrsminister Volker Wissing will bis zu einer Neuwahl im Amt bleiben und tritt aus der FDP aus. Kanzler Olaf Scholz (SPD) habe ihn gefragt, ob er bereit sei, das Amt unter den neuen Bedingungen fortzuführen, sagte Wissing in Berlin. Er habe dies Scholz zugesagt.
Wissing will der Regierung als Parteiloser angehören. «Ich möchte keine Belastung für meine Partei sein.» Daher habe er Parteichef Christian Lindner seinen Austritt aus der FDP mitgeteilt. Dies sei eine persönliche Entscheidung. «Ich möchte mir selbst treu bleiben.»
Anders als Wissing wollen seine drei Staatssekretäre Daniela Kluckert, Oliver Luksic und Gero Hocker nicht Teil der Bundesregierung bleiben. Wie Kluckert auf der Plattform X mitteilte, baten die drei FDP-Politiker den Minister, ihre Entlassung beim Bundespräsidenten zu veranlassen.
Scholz geht Lindner weiter hart an: «Dann zündet man das Land an»
Am Tag nach dem Ampel-Bruch wirft der Kanzler dem FDP-Chef indirekt gesellschaftliche Brandstiftung vor. Mit Blick auf die Finanzierung der Ukraine-Hilfe aus dem laufenden Haushalt sagte Scholz: «Wenn man jetzt zu der Überzeugung kommt, das müssen wir einfach mal so nebenbei ausschwitzen, dann zündet man das Land an.»
Dies bedeute etwa, dass Strassen nicht ausgebaut und Schulen nicht weiterentwickelt werden könnten. Zudem könne man dann nichts für Wirtschaft und Arbeitsplätze tun.
Lindner erhält um 14.00 Uhr von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Entlassungsurkunde. Scholz, der Lindner mehrfachen Vertrauensbruch und Kleinkariertheit vorgeworfen hat, wird wohl dabei sein - jedenfalls ist das so üblich.
Lindner: schnell neu wählen
Lindner forderte von Scholz, umgehend politische Klarheit zu schaffen. «Unser Land braucht eine Regierung, die nicht nur amtiert, sondern die agieren kann. Das Richtige für unser Land wäre die sofortige Vertrauensfrage und Neuwahlen», sagte er in der Parteizentrale in Berlin. «Niemand darf in der Demokratie Angst vor den Wählerinnen und Wählern haben.»
Scholz-Berater Kukies folgt auf Lindner
Der bisherige Wirtschaftsberater von Scholz, Jörg Kukies, wird Nachfolger Lindners. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen. Zuvor hatten ARD und «Bild» darüber berichtet. Der Sozialdemokrat ist derzeit Staatssekretär im Kanzleramt. Er ist der Mann für Wirtschaft und Finanzen und verhandelt für ihn die Abschlussdokumente der G7- und G20-Gipfel.
Die Posten von Justizminister Marco Buschmann und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (beide FDP) werden nach dpa-Informationen voraussichtlich von Ministern übernommen, die bereits dem Kabinett angehören. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Grünen das Forschungsministerium übernehmen.
Rückkehr von Rot-Grün nach 19 Jahren
Nach dem Bruch des Kanzlers mit der FDP gibt es dann zum ersten Mal seit 2005 wieder eine rot-grüne Regierung. Der Bruch der ersten Koalition von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene war nach einem erbitterten Richtungsstreit über den Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik erfolgt. Scholz hatte in den Verhandlungen ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse gefordert.
Angesichts der verfahrenen Lage hatte Lindner im Koalitionsausschuss vorgeschlagen, gemeinsam eine Neuwahl des Bundestags in die Wege zu leiten. In einer Sitzungspause landete der Vorschlag in der Öffentlichkeit, mehrere Medien berichteten darüber, woraufhin Scholz den Bundespräsidenten um die Entlassung seines Finanzministers bat./rom/DP/mis
(AWP)