Bund und Kantone müssten die Genehmigungsverfahren für Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien und für die Stromnetze beschleunigen, heisst es im neusten IEA-Bericht über die Schweiz, der am Montag in Bern von der stellvertretenden Exekutivdirektorin Mary Burce Warlick vorgestellt wurde. Möglichst rasch sollten auch die ab 2030 wirksamen klimapolitischen Massnahmen definiert werden, um das Netto-Null-Emissionsziel bis 2050 zu erreichen.

Energieminister Albert Rösti sagte vor den Medien, der Bundesrat habe die Notwendigkeit einer Beschleunigung der Verfahren bereits erkannt, unter anderem indem er dem Parlament einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet habe. Es handle sich um die grösste Herausforderung bei der Dezentralisierung der Energieerzeugung.

Mehr Tempo kann die Schweiz laut IEA erreichen, wenn sie drei wichtige Engpässe mit geeigneten Massnahmen angeht. Es seien dies der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften etwa zur Installation von Wärmepumpen, langwierige Genehmigungsverfahren für Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien und unterbrochene Lieferketten bei Baumaterialien und Ausrüstungen für den Energiesektor.

Gute Noten

Die IEA begrüsste die als Reaktion auf die weltweite Energiekrise in der Schweiz rasch umgesetzten Massnahmen, insbesondere in Bezug auf Wasserkraftreserve und Reservekraftwerke, diese hätten eine kurzfristige Wirkung. Ausdrücklich befürwortet wird auch das im Parlament hängige Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien.

Gute Noten gibt es für die vom Parlament verabschiedeten Solar- und Wind-Offensiven, die den raschen Zubau von alpinen Solarkraftwerken und im Bewilligungsverfahren weit fortgeschrittenen Windenergieanlagen zum Ziel haben. Ausserdem habe der Bundesrat im Juni 2023 eine Vorlage zur Beschleunigung der Bewilligungsverfahren ans Parlament überwiesen.

Stromabkommen mit EU von Vorteil

Die IEA empfiehlt der Schweiz, ihre Vorschriften für den Elektrizitätsmarkt an die der EU anzugleichen und ein Stromabkommen abzuschliessen. Dieses würde für die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten geringere Kosten für Systemdienstleistungen im Übertragungsnetz bringen und sowohl die Stromversorgungssicherheit in der Schweiz als auch in den EU-Mitgliedstaaten stärken.

Auch Rösti betonte, dass, wie es der Bericht festhält, ein Stromabkommen mit der EU für die Schweiz und die EU von Vorteil wäre. Man dürfe aber nicht vergessen, dass ein Stromabkommen der Schweiz nicht helfen werde, wenn es in Europa zu einer Stromknappheit komme. «Was wir in erster Linie brauchen, ist einheimische Produktion», sagte Rösti.

Zur Sicherstellung ihrer Gasversorgung brauche die Schweiz eine Regulierungsbehörde und eine koordinierende Netzgesellschaft, stellt die IEA fest. Weiter empfiehlt die IEA dem Bund, nationale Strategien für Wasserstoff, E-Fuels und andere erneuerbare Gasen zu erstellen und zu untersuchen, welche Rolle diese in den schwer zu dekarbonisierenden Sektoren spielen könnten. So vorbereitet könne die Schweiz zu einem späteren Zeitpunkt ein Abkommen über Gas und Wasserstoff mit der EU in Betracht ziehen.

Know-how-Verlust in der Kernenergie

In der Kernenergie warnt die IEA vor dem Verlust von Know-how. Durch den schrittweisen Ausstieg der Schweiz sei der Bereich für junge Fachkräfte wenig attraktiv. Das könnte sich nachteilig auf den langfristigen Betrieb der bestehenden Kernkraftwerke und weitere Aktivitäten der Schweiz im nuklearen Bereich auswirken.

Auch für die Stilllegung, Abfallentsorgung und -lagerung brauche es qualifizierte Arbeitskräfte. In Bezug auf das geologische Tiefenlager empfiehlt die IEA, die gute Zusammenarbeit mit den betroffenen Gemeinden fortzusetzen und weiter zu vertiefen.

Die IEA unterzieht die Energiepolitik ihrer Mitgliedsländer alle rund fünf Jahre einer eingehenden Prüfung. Für die neuste Tiefenprüfung besuchte ein international zusammengesetztes Review-Team die Schweiz vom 22. bis zum 28. November 2022. Entstanden ist ein rund 130-seitiger Bericht.

(AWP)