«Der Tigris war noch nie so niedrig», hört man an diesem Oktoberabend in Bagdad immer wieder. Mit Sorge blicken die Menschen auf den tiefen Wasserstand.

Der Irak mit seinen 46 Millionen Einwohnern bezieht sein Wasser hauptsächlich aus Tigris und Euphrat. Doch diese Ressource wird in dem Land, das seit Jahren unter Dürre leidet, immer knapper. Besonders kritisch war die Lage in letzter Zeit in der Landwirtschaft.

«Wasser ist jetzt wichtiger als Öl», sagte der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA am Rande seiner Nahostreise von vergangener Woche. Um Wasser gebe es mehr Kriege als um Öl.

Zentralasien und der Nahe Osten seien davon besonders stark betroffen. Der Tessiner Bundesrat erklärte, er wolle die bestehenden Programme vor Ort verstärken, ohne Zahlen zu nennen.

Thema im Parlament

Auch Nationalratspräsidentin Maja Riniker, die die Reise begleitete, war von der Bedeutung des Themas Wasser in der Region beeindruckt: «Das Thema war bei meinen Treffen mit meinen Amtskollegen allgegenwärtig, vor allem in Jordanien und im Irak», erzählte sie.

Die Aargauer FDP-Nationalrätin kündigte an, diese Probleme im Parlament zu thematisieren, sobald ihre Amtszeit als Nationalratspräsidentin im Dezember ende. Wie Cassis ist auch sie der Ansicht, dass die Schweiz ihr Know-how einbringen kann.

«Die Prognosen zum Wasserstress, d.h. wenn die Nachfrage nach Wasser die verfügbaren Ressourcen übersteigt, zeigen tatsächlich, dass der Nahe Osten direkt betroffen ist», sagt Christian Bréthaut, wissenschaftlicher Direktor des Geneva Water Hub und ausserordentlicher Professor für Wassergovernance an der Universität Genf.

Wasserdiplomatie

Die Schweiz bietet derzeit über ihre Initiative «Blue Peace» nicht nur technische, sondern auch diplomatische Unterstützung im weltweiten Wassermanagement an. Eine Zweigstelle befindet sich im Nahen Osten. Ziel der Initiative ist es, den Dialog zwischen den Staaten der Region zu erleichtern.

Einer der Hauptakteure sei die Türkei, wo die Flüsse Euphrat und Tigris entspringen, erklärt Bréthaut. Dort herrsche viel mehr Stabilität als im Irak oder in Syrien, die weniger Kapazitäten hätten, um zu reagieren. Dennoch seien Spannungen spürbar.

Die irakischen Behörden haben wiederholt die Staudämme auf der anderen Seite der Grenze für den deutlichen Rückgang ihrer Durchflussmenge verantwortlich gemacht. Sie geben an, dass sie heute weniger als 35 Prozent des Wasseranteils aus diesen beiden Flüssen zu erhalten, der dem Land mit seinen mangelhaften Wassermanagementsystemen zugewiesen wird.

Strategisches Interesse

Die Lage ist auch in Jordanien kritisch, einem der wasserärmsten Länder der Welt. Das Land steht aufgrund des Zustroms von Flüchtlingen, insbesondere aus Syrien, unter besonderem Druck. Die Schweiz hat vor einigen Jahren die Eröffnung eines Zentrums für Wasserdiplomatie in der jordanischen Hauptstadt Amman unterstützt.

Kann die Schweiz durch solche Schritte im Bereich Wasser ihren Einfluss in der Region geltend machen, die zunehmend von strategischem Interesse ist? Bréthaut hält dazu fest, das dies sicher der Fall sei, sich die Schweiz aber mehr auf ihre guten Dienste konzentriere, obwohl sie beim Wassermanagement sehr kompetent ist.

Gute Dienste waren eines der Hauptthemen während Cassis' Besuch im Irak. Das Land befindet sich nach jahrzehntelangem Krieg im Wiederaufbau und möchte sich als Vermittler positionieren.

Kein Tabu mehr

Zur Frage, ob Kriege um Wasser zu befürchten sind, stellt Bréthaut einen Wandel fest. Die Besetzung des Mossul-Staudamms im Irak durch den Islamischen Staat im Jahr 2014 sei eines der ersten Alarmzeichen gewesen, dass Wasserinfrastruktur als Kriegswaffe eingesetzt werden könne.

Diese Art von Angriffen, die bis dahin tabu gewesen waren, wiederholten sich anschliessend in anderen Konflikten, beispielsweise in der Ukraine, im Südsudan und in Syrien. «Allerdings sind seit den 1940er-Jahren etwa 30 Konflikte im Zusammenhang mit Wasser ausgebrochen, während mehr als 300 Abkommen unterzeichnet wurden», relativiert der Experte.

(AWP)