Die militärischen Spannungen im Nahen Osten sind so gross wie seit Jahren nicht mehr. Nach dem mutmasslich israelischen Luftangriff auf Irans Botschaftsgelände in Syrien Anfang April, bei dem zwei Brigadegeneräle getötet wurden, haben sie noch mal deutlich zugenommen: Die Staatsführung in Teheran droht dem Erzfeind Israel mit Vergeltung. Beobachter sehen die verfeindeten Länder am Rande einer kriegerischen Eskalation.

USA sichern Israel volle Unterstützung zu

Wie angespannt die Lage war, machten am Samstag der rege Austausch zwischen Regierungsvertretern der USA und Israel und die Mitteilungen dazu deutlich, die auch als Botschaften an den Iran verstanden werden können. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sicherte seinem israelischen Kollegen Joav Galant die volle Unterstützung der USA bei der Verteidigung gegen jegliche Angriffe des Iran und seiner Stellvertreter zu. In einem Telefonat hätten die beiden über «akute regionale Bedrohungen» gesprochen, teilte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Pat Ryder, mit.

Auch der Sicherheitsberater von US-Präsident Biden, Jake Sullivan, sprach mit seinem israelischen Counterpart Zachi Hanegbi über die Ereignisse im Nahen Osten. Dabei bekräftigte er nach eigenen Angaben die «eiserne Verpflichtung» der USA für die Sicherheit Israels.

Neue Schutzanweisungen für Israels Bevölkerung

Angesichts der Sorge vor einem möglichen iranischen Vergeltungsangriff veröffentlichte die israelische Armee am Samstagabend neue Schutzanweisungen für die Zivilbevölkerung. Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari sagte vor Journalisten, es solle von Sonntag an keinen Schulunterricht oder andere Bildungsaktivitäten, keine Ferienlager und keine organisierten Ausflüge geben. An Versammlungen dürfen von Samstagabend an nur noch maximal 1000 Menschen teilnehmen. In sogenannten Konfliktzonen in der Nähe des Gazastreifens oder des Libanons dürfen sich draussen nur noch bis zu 30 und drinnen bis zu 300 Menschen versammeln. Am Arbeitsplatz sollen die Bürger besonders in diesen Gebieten darauf achten, dass sie notfalls rasch einen Schutzraum erreichen können.

Für den internationalen Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv galten keine besonderen Anweisungen. Wegen der Ferien wird mit einem hohen Reiseaufkommen gerechnet.

Iran konfisziert Containerschiff mit angeblicher Verbindung zu Israel

Die Regierungen der USA und Grossbritanniens verurteilten unterdessen das Vorgehen des Irans im Golf von Oman. Die iranische staatliche Nachrichtenagentur Irna hatte am Samstag berichtet, dass die Marine der iranischen Revolutionsgarden ein Schiff mit Verbindungen zu Israel festgesetzt habe und dass es sich auf dem Weg in iranische Gewässer befinde. Videos der Agentur zeigten den Einsatz von Kommandosoldaten, die sich von einem Militärhubschrauber auf das Deck des Schiffes abseilten. Nähere Informationen waren zunächst nicht bekannt.

Die zur britischen Marine gehörende Behörde UKMTO berichtete ebenfalls über den Fall und verortete ihn im Golf von Oman, etwa 50 Seemeilen nordöstlich der Hafenstadt Fudschaira in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Nahe der Strasse von Hormus hatte Irans Marine in der Vergangenheit bereits Öltanker und Containerschiffe beschlagnahmt.

Nach Angaben der US-Regierung handelt es sich um das Containerschiff «MSC Aries», das unter portugiesischer Flagge fährt und in britischem Besitz ist. Der israelische Armeesender hatte zuvor berichtet, vermutlich habe der Frachter unter anderem israelische Eigner. Das nach Angaben des Schiffsortungsdienstes Vessel Finder 366 Meter lange Schiff befand sich auf der Fahrt aus den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Indien. Die letzte Position sei demnach am Freitagnachmittag empfangen worden, als der Containerriese vor Dubai war.

Israelische Aussenminister spricht von «Piratenaktion»

Als Reaktion auf die Festsetzung sprach der israelische Aussenminister Israel Katz von einer «Piratenaktion» unter Verletzung des Völkerrechts. Der britische Verteidigungsminister Grant Shapps und die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats im Weissen Haus, Adrienne Watson, äusserten sich ähnlich und forderten die Freigabe des Schiffs und die Freilassung der Besatzung.

Die Strasse von Hormus, eine etwa 55 Kilometer breite Meerenge zwischen dem Iran und Oman, gilt als eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten für den weltweiten Ölexport. Die USA werfen der iranischen Marine regelmässig vor, den zivilen Schiffsverkehr in der Strasse von Hormus und im angrenzenden Golf von Oman zu behindern.

Erst am Dienstag hatte der Kommandeur der Marine der Revolutionsgarden in einem Interview vor Militäroperationen an der Strasse von Hormus gewarnt. «Wenn wir wollen, können wir die Strasse sogar schliessen», sagte Kommandeur Aliresa Tangsiri im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Isna.

Seit Ausbruch des Gaza-Kriegs Anfang Oktober haben Konflikte in der Region auch auf den Seerouten deutlich zugenommen. Insbesondere die mit dem Iran verbündeten Huthi-Rebellen im Jemen haben regelmässig Tanker auf dem Weg nach Israel angegriffen. Grosse Reedereien meiden zunehmend die Route im Roten Meer, der kürzesten Verbindung auf dem Seeweg zwischen Asien und Europa.

(AWP)