Aus der alten Regierung von Olaf Scholz macht nur ein SPD-Bundesminister weiter: Boris Pistorius bleibt für Verteidigung zuständig. Die bisherige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas wird als Arbeitsministerin die wichtigste SPD-Frau im Kabinett. Eine andere Frau, über die in den vergangenen Wochen viel diskutiert wurde, bleibt dagegen draussen: Parteichefin Saskia Esken bekommt keinen Kabinettsposten. Ob sie im Juni erneut für die SPD-Spitze kandidiert, ist weiter offen.

Zwei SPD-Frauen unter 40

Es gibt eine ganze Reihe neuer SPD-Gesichter in der Regierung. Entwicklungsministerin wird die erst 35-jährige bisherige Integrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan, deren Eltern aus dem Irak stammen. Nur zwei Jahre älter ist die frühere Start-Up-Unternehmerin und jetzige Vizefraktionsvorsitzende Verena Hubertz, die das Bauministerium übernimmt. Klingbeil, der das Personaltableau federführend aufgestellt hat, wird damit dem Versprechen einer personellen Erneuerung nach dem historischen Wahldebakel bei der Bundestagswahl im Februar mit dem schlechtesten Ergebnis seit 138 Jahren gerecht.

Umweltminister wird der bisherige Ostbeauftragte Carsten Schneider aus Thüringen. Als Justizministerin wechselt die Juristin und bisherige rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (56) nach Berlin.

Auch die beiden Staatsministerposten der SPD werden mit Frauen besetzt: Elisabeth Kaiser, bisher Parlamentarische Staatssekretärin für Bauen und Wohnen, wird Beauftragte für Ostdeutschland. Natalie Pawlik, bisher Beauftragte für Aussiedlerfragen, wird für Migration, Flüchtlinge und Integration zuständig sein.

Parteispitze fordert «echtes Teamplay»

«Die SPD stellt ein Team auf, das bereit ist, unser Land mutig zu gestalten», erklärten die Parteivorsitzenden Lars Klingbeil, Saskia Esken und Generalsekretär Matthias Miersch zum Personaltableau. Die SPD führe unter anderem zentrale Ministerien, um die geplante Modernisierung Deutschlands durch massive Investitionen voranzutreiben und die Belange der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Familien zu stärken.

«Die neue Regierung braucht mehr denn je echtes Teamplay, um Deutschland wieder dorthin zu führen, wo es hingehört: Nach vorn», betonte die Parteispitze. «Das Team der SPD wird diese Aufgabe gemeinsam annehmen.»

Gesamtkabinett: Grösser, männlicher, älter

Das neue Kabinett wird insgesamt etwas grösser, männlicher und älter sein als es die Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP war, als sie 2021 antrat. Das Durchschnittsalter steigt von 50,4 auf 53,1 Jahre. Das liegt vor allem an den elf Unionisten in der Regierung, allen voran Kanzler Merz (69). Sie sind im Schnitt 55,5 Jahre alt, die Sozialdemokraten dagegen nur 49,4 Jahre.

Wegen der Neugründung des Digitalministeriums gibt es künftig 18 statt bisher 17 Kabinettsmitglieder. Zum zweiten Mal in Folge wächst die Regierung damit. Darunter sind zehn Männer und acht Frauen. In der ursprünglichen Regierung Scholz waren es neun Männer und acht Frauen. Nach der Ablösung von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) durch Pistorius verschob sich das Verhältnis allerdings später auf zehn zu sieben.

Auch Fraktionsvorsitz geklärt - Parteispitze noch offen

Es wird erwartet, dass die SPD noch im Laufe des Tages auch ihren Personalvorschlag vor den Fraktionsvorsitz verkündet, den Klingbeil wegen des Wechsels ins Kabinett abgibt. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur gibt es zwischen den Parteiflügeln eine Verständigung darauf, dass der bisherige Generalsekretär Miersch den Posten übernehmen soll. Er hat sich damit gegen Arbeitsminister Hubertus Heil durchgesetzt, der bereits am Sonntag das Handtuch geworfen hat.

Auch die Neuaufstellung der Parteispitze muss bald geklärt werden. Sie soll auf einem Parteitag im Juni neu gewählt werden. Es wird erwartet, dass Klingbeil als Parteichef weitermachen will - mit wem zusammen, ist aber offen.

Spahn soll Unionsfraktion führen - CSU wählt Dobrindt-Nachfolger

Bei der CDU/CSU sind grössere Personalquerelen bisher ausgebliebenen. Am Nachmittag (16.00 Uhr) wollen die Bundestagsabgeordneten der Union den ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) als Nachfolger von Merz zu ihrem neuen Vorsitzenden wählen. Neuer Chef der CSU-Abgeordneten soll der bisherigen parlamentarischen Geschäftsführer Alexander Hoffmann werden. Der 50 Jahre alte Unterfranke soll als Landesgruppenchef auf Alexander Dobrindt folgen, der Innenminister werden soll. Von den insgesamt 208 Unionsabgeordneten im Bundestag gehören 44 der CSU an.

Union und SPD geben sich das Jawort

Mit der feierlichen Unterzeichnung des Koalitionsvertrags am Mittag (12.00 Uhr) geben sich Union und SPD endgültig das Jawort. Früher wurden Bündnisse von CDU, CSU und SPD «grosse Koalition» oder GroKo genannt, weil die drei Parteien eine besonders grosse Mehrheit im Bundestag hatten. Bei der ersten «grossen Koalition» 1966 bis 1969 stellten sie 90 Prozent der Abgeordneten. Heute sind es nur noch 52 Prozent.

Merz hat das neue Bündnis nun «Arbeitskoalition» getauft. Am Dienstag muss sie ihre erste Bewährungsprobe bestehen. Der CDU-Chef benötigt in geheimer Wahl die Zustimmung der Mehrheit aller Abgeordneten, um Kanzler zu werden. Das sind 316 Stimmen. Dem Bundestag gehören 328 Politiker von Union und SPD an. Trotz des dünnen Polsters gilt die Wahl Merz' im ersten Wahlgang als ziemlich sicher, und die neue Regierung kann dann auf den Tag genau ein halbes Jahr nach dem Bruch der Ampel-Koalition an die Arbeit gehen.

Scholz wird mit Zapfenstreich verabschiedet

Mit der Überreichung der Ernennungsurkunde an Merz durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier endet nach 1245 Tagen die Kanzlerschaft von Scholz. Heute Abend würdigt die Bundeswehr den SPD-Politiker vor dem Verteidigungsministerium mit einem grossen Zapfenstreich. Dem Bundestag wird Scholz aber auch nach seinem Ausscheiden als Kanzler angehören. Er hat ein Direktmandat in Potsdam gewonnen und will es bis zum Ende der Wahlperiode wahrnehmen./mfi/DP/mis

(AWP)