Sperisens Anwälte hatten zuvor einen Antrag auf Strafunterbrechung gestellt. Dabei beriefen sie sich auf ein inzwischen rechtskräftiges Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Die Strassburger Richter stellten in dem im Juni veröffentlichten Urteil fest, dass im Fall Sperisen das Recht des Beschuldigten auf ein unparteiisches Gericht verletzt wurde.

Sperisen darf die Strafanstalt Witzwil BE, in der er seit Dezember 2022 inhaftiert ist, verlassen. Zuvor war er in Thorberg BE und Champ-Dollon in Genf inhaftiert gewesen. Sperisen ist es jedoch vorderhand untersagt, mit Nebenklägern oder Zeugen Kontakt aufzunehmen. Ausserdem darf er die Schweiz nicht ohne Genehmigung verlassen, und er muss seine Ausweispapiere hinterlegen.

Ein schwerwiegender Grund

Das Straf- und Massnahmenvollzugsgericht erinnerte daran, dass ein Strafunterbruch aus einem schwerwiegenden Grund gewährt werden könne, und dass ein Verfahrensfehler einen solchen Grund darstellen könne. Der EGMR habe eine Verletzung der Verfahrensrechte im Fall Sperisen festgestellt, und beim Bundesgericht sei ein Revisionsantrag hängig, betonte der Präsident des Gerichts. Ein von Sperisen gestellter Antrag auf vorzeitige bedingte Entlassung wurde vom Gericht abgelehnt.

Bei der Anhörung vor dem Gericht kritisierte Sperisens Anwalt Giorgio Campa, dass sein Mandant elf Jahre lang in der Schweiz festgehalten worden sei, ohne ein faires Verfahren zu erhalten. Es sei nun an der Zeit, «wieder eine Situation herzustellen, die den Menschenrechten entspricht».

Medientribüne genutzt

Staatsanwalt Yves Bertossa wies seinerseits darauf hin, dass das Urteil des EGMR kein einziges Wort enthalte, das die Gründe für die Verurteilung von Sperisen in Frage stelle. «Seine Anwälte nutzen eine Medientribüne, um Sperisen als armen Unschuldigen darzustellen», sagte Bertossa. Er gab nicht bekannt, ob er gegen den Entscheid des Gerichts Beschwerde einlegen wird.

Sperisen ist schweizerisch-guatemaltekischer Doppelbürger. Er wurde 2012 in Genf festgenommen, wohin er 2007 mit seiner Familie geflohen war. Im April 2018 wurde er vom Genfer Strafgericht wegen Beihilfe zum siebenfachen Mord bei einer Polizeiaktion von 2006 in Guatemala zu 15 Jahren Haft verurteilt. Das Bundesgericht bestätigte dieses Urteil im November 2019.

(AWP)